Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
machen.«
»Vera, Tatsache ist doch, dass ich es nicht schaffen würde, ständig um ihn herum zu sein. Wir würden die ganze Zeit nur miteinander
streiten, und das würde mich wahnsinnig |84| machen. Aber ich möchte, dass es ihm gut geht und dass er glücklich ist. Und wenn Valentina ihn glücklich macht …«
»Es geht nicht um Glück, Nadeshda, es geht um Geld. Begreifst du das denn nicht? Ich nehme an, mit deinen linken Ideen im
Kopf wäre dir jeder recht, der auftaucht, um andere um ihr hart erarbeitetes Geld zu bringen.«
»Es geht nicht um linke Ideen, sondern einzig und allein darum, was das Beste für ihn ist.« (Punkt. Alles klar? Ich bin keine
solche Faschistin wie meine Schwester.)
»Natürlich. Genau darum geht es. Habe ich je etwas anderes behauptet?«
Meine große Schwester ruft noch einmal beim Innenministerium an. Dort sagt man ihr, dass sie eine schriftliche Eingabe machen
soll. Das tut sie, wieder anonym. Dann ruft sie bei dem Standesamt, wo die Hochzeit angemeldet werden muss, an. Die zuständige
Beamtin zeigt sich verständnisvoll.
»Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass ich überhaupt nichts dagegen tun kann, wenn er fest entschlossen ist, diese Ehe einzugehen.«
»Aber die Scheidung von ihrem Mann in der Ukraine – die ist überhaupt erst im letzten Moment, bevor sie hier wieder wegmusste,
erfolgt. Und nach der Scheidung ist sie wieder zu ihm zurück.«
»Ich werde mir diese Papiere genau ansehen, doch wenn alles in Ordnung ist …«
»Und was ist mit den Übersetzungen? Die wurden auch erst in letzter Minute von einem Übersetzungsbüro in London gemacht. Wenn
sie dort zum Beispiel die Begriffe durcheinander gebracht haben? Wenn da womöglich von einem noch nicht rechtskräftigen Urteil
die Rede ist?« Meine Schwester ist Expertin in Scheidungssachen.
|85| »Wie gesagt, ich werde mir das alles sehr genau ansehen. Allerdings kann ich kein Ukrainisch. Ich muss darauf vertrauen, dass
das, was dort steht, stimmt. Und er ist ein erwachsener Mann.«
»Er benimmt sich aber nicht so.«
»Tja –«
Sie habe wie eine typische bürokratische Sozialarbeiterin geklungen, sagt meine Schwester. Eine, die verspricht, ihr Bestes
zu tun, aber sich natürlich an die Vorschriften halten muss.
Wir malen uns aus, wie wir bei der Hochzeit auftauchen, wie wir uns während der Trauung, wenn das Paar vor dem Altar kniet,
in die Kirche schleichen.
»Ich ziehe mein schwarzes Kostüm an«, sagt Vera, »das ich bei Mutters Beerdigung getragen habe. Und wenn der Pfarrer fragt,
ob jemand etwas vorzubringen hat, was gegen diese Heirat spricht – dann brüllen wir von hinten: Ja, wir!«
(Das wollte ich schon immer mal machen.)
»Aber was sagen wir dann?«, frage ich.
Und schon sind wir mit unserer Weisheit am Ende.
Vater und Valentina wurden am 1. Juni in der Maria-Immaculata-Kirche getraut, denn Valentina ist katholisch. Vater ist Atheist, aber Valentina zuliebe war
er einverstanden. Seiner Meinung nach sind Frauen nun mal von Natur aus irrational.
Für ihr Brautkleid hatte er ihr fünfhundert Pfund geschenkt. Es ist aus cremefarbener Kunstseide, enganliegend, so dass Taille
und Hüften betont werden, und hat einen tiefen, mit gekräuselter Spitze besetzten Ausschnitt, was den Blick auf ihre Botticelli-Brüste
lenkt. (Ich habe das Hochzeitsbild vor mir liegen.) Ich sehe Papa direkt vor mir, wie er sich abmüht, den richtigen Blickwinkel
für den von ihm |86| beauftragten Fotografen herauszufinden. Er möchte mit ihr angeben, mit seiner Trophäe, bei allen, die sich bisher verächtlich
das Maul über sie zerrissen haben. Valentina braucht das Foto für die Einwanderungsbehörde.
Wie Vater erzählt, war der Priester ein junger Ire, der mit seinen Pickeln und seinen zu Berge stehenden Haaren wie ein Teenager
gewirkt habe. Was er wohl von diesem ungleichen Paar gehalten hat? Ob er wusste, dass er eine geschiedene Frau vor sich hatte?
Hat er sich denn überhaupt keine Gedanken gemacht? Die Zatshuks, Valentinas einzige ukrainische Freunde, sind auch Katholiken
aus der Westukraine. Alle anderen Mitglieder der ukrainischen Gemeinde – die Freunde meiner Mutter, die Vater zur Hochzeit
eingeladen hat – kommen aus dem Osten und sind orthodox. Die Jugendlichkeit und das pickelige Gesicht des Pfarrers dürften
ihre Vorbehalte gegenüber dem Katholizismus vollauf bestätigt haben.
Auf dem Gruppenbild sieht man Valentinas Onkel aus Selby,
Weitere Kostenlose Bücher