Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
Stanislav und ein paar ihrer Arbeitskollegen. Alle haben dieses
selbstgefällige, verkleidete Aussehen von Leuten, die einen Schwindel decken. Bob Turner fehlt.
Nach der Trauung kamen dieselben Leute, die vor zwei Jahren nach Mutters Beerdigung im großen Zimmer gesessen hatten, wieder
dort zusammen, um dem glücklichen Paar mit Wodka zuzuprosten, Snacks aus dem Supermarkt zu futtern und über Gott und die Welt
zu plaudern. Ich war nicht dabei und weiß nicht, worüber sie geredet haben, aber den Tratsch kann ich mir vorstellen: Halb
so alt wie er, und schau dir mal ihren Busen an – wie sie ihn den Männern unter die Nase hält. Und wie geschminkt sie ist.
Dass der Alte sich so zum Narren macht. Eine Schande ist das …
|87| 7.
Schrottauto
Jetzt sind schon drei Wochen vergangen seit der Hochzeit, und ich habe meine neue Stiefmutter immer noch nicht zu Gesicht
bekommen.
»Wann können wir denn nun die glückliche Braut endlich kennen lernen?«, frage ich meinen Vater.
»Jetzt noch nicht. Noch nicht.«
»Aber wann denn?«
»Noch nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie noch nicht da ist.«
»Sie ist noch nicht da? Wo ist sie denn?«
»Ist doch egal. Nicht hier.«
Dieser alte Sturkopf. Er will mir einfach nichts sagen. Aber ich kriege ihn schon dazu.
»Was ist das denn für eine Ehefrau, die noch nicht einmal bei ihrem Mann lebt?«
»Sie kommt ja bald. In drei Wochen. Sobald Stanislavs Schule zu Ende ist.«
»Was hat denn die Schule damit zu tun? Wenn sie dich lieben würde, wäre sie jetzt bei dir.«
»Aber sein Haus ist ganz in der Nähe der Schule. Das ist für Stanislav viel bequemer.«
»In der Hall Street? Wo Bob Turner wohnt? Sie lebt also immer noch bei Bob Turner?«
|88| »Ja. Nein. Die Beziehung ist jetzt rein platonisch. Das hat sie mir versichert.« (»Pla-tooh-nisch«, sagt er, mit einem sehr
gedehnten »o«.)
Schafskopf mit Hörnern. Aber im Moment bringt es mich nicht weiter, wenn ich mit ihm streite.
Es ist Mitte August und ziemlich heiß, als wir sie endlich besuchen fahren. Über den Feldern schwebt das Rattern und Summen
von Mähdreschern, die wie riesige Kakerlaken hin und her kriechen. Auf den bereits abgeernteten Feldern liegen die großen
runden, mit schwarzer Plastikfolie zusammengehaltenen Strohballen und sehen aus wie abgebrochene Teile von Riesenmaschinen
– die Ernte in Lincolnshire ist nicht sehr malerisch. Die mechanischen Heckenschneider waren auch schon unterwegs und haben
die Hundsrosen und Brombeerranken an den Hecken zurückgeschnitten. Nicht mehr lange, dann werden die Stoppelfelder abgebrannt
und die Kartoffeläcker und Erbsenfelder mit chemischen Entlaubungsmitteln besprüht.
Mutters Garten jedoch ist noch immer ein Refugium für Insekten und Vögel. Die Bäume biegen sich unter der Last ihrer Früchte
(»Noch nicht reif, Nadia, da bekommst du Bauchschmerzen«), während Wespen und Fliegen sich schon am Fallobst gütlich tun,
gefräßige Finken delektieren sich an den Mücken, Amseln picken nach Maden und dicke Hummeln summen um die Fingerhutblüten
herum. Rote und rosa Rosen kämpfen gegen die das Beet überziehenden Ackerwinden an. Das zum Garten hin gelegene Esszimmerfenster
im Erdgeschoss ist weit geöffnet, Vater sitzt drinnen, hat die Brille auf der Nase und ein Buch auf den Knien. Auf dem Tisch
liegt anstelle der Zeitungen eine Tischdecke, darauf steht eine Vase mit Plastikblumen.
»Hallo, Papa.« Ich beuge mich zu ihm hinab und küsse ihn auf die Wange. Stoppelig.
|89| »Hallo, Dedushka«, sagt Anna.
»Hallo, Nikolai«, sagt Mike.
»Ahh – schön, dass ihr kommt, Nadia, Anushka, Michael.«
Er umarmt uns der Reihe nach. Er sieht gut aus.
»Wie geht’s deinem Buch, Dedushka?«, fragt Anna. »Kommst du voran?« Anna verehrt ihren Großvater. Sie hält ihn für ein Genie.
Um ihretwillen mache ich möglichst wenig Aufhebens von seinen Eigenarten, seinem geschmacklosen sexuellen Wiedererwachen,
seiner mangelhaften Körperhygiene.
»Gut. Gut geht es. Ich nähere mich jetzt dem interessantesten Teil. Entwicklung der Raupenkette. Ein bedeutsamer Schritt in
der Geschichte der Menschheit.«
»Soll ich Teewasser aufsetzen, Papa?«
»Erzähl doch mal von der Raupenkette«, sagt Anna ohne jede Ironie.
»Ah – weißt du, in vorgeschichtlicher Zeit hat man große Steine mit Hilfe von hölzernen Rollen aus Baumstämmen fortbewegt.
So.« Er reiht auf dem Tisch ein paar scharf gespitzte Bleistifte
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