Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
ich.
»Hmm. Sehr interessante Frage, wirklich, dieser psychologische |105| « – er sagt »p-sss-ychologische« – »Determinismus … Leibniz, der übrigens Mitbegründer der modernen Mathematik war, hat zum Beispiel geglaubt, dass alles schon im Moment der
Schöpfung vorherbestimmt war.«
»Papa …«
»
Tak, tak
. Und andauernd raucht sie. Sogar an Millas Sterbebett hat sie geraucht. Zigaretten sind pure Tyrannei.« Irgendetwas scheint
ihm zu signalisieren, dass meine Geduld allmählich erschöpft ist. »Habe ich dir jemals erzählt, Nadia, dass ich einmal fast
an Zigaretten gestorben wäre?«
Will er jetzt das Thema wechseln oder ist er inzwischen völlig verwirrt?
»Ich wusste gar nicht, dass du mal geraucht hast.«
Meine Eltern haben beide nie geraucht. Mehr noch, sie haben mir, als ich mit fünfzehn damit anfing, so schreckliche Szenen
gemacht, dass ich überhaupt nie richtig süchtig werden konnte und es einige Jahre später von allein wieder aufgab.
»Habe ich auch nicht. Dass ich nicht geraucht habe, hat mir das Leben gerettet, aber es hätte mich beinahe auch das Leben
gekostet.« Seine Stimme hat auf Plauderton umgeschaltet. Nun hat er wieder alles im Griff, lenkt seinen Traktor über die wohlbekannten
Furchen der Vergangenheit. »In dem deutschen Arbeitslager, in dem wir uns bei Kriegsende befanden, waren Zigaretten die übliche
Währung für alles. Für unsere Arbeit erhielten wir dort nämlich soundso viel Brot, soundso viel Fett und soundso viele Zigaretten.
Und wer nicht rauchte, konnte seine Zigaretten eintauschen. Gegen Essen, gegen Kleidung oder gegen Luxusdinge wie Seife oder
Decken. Dank der Zigaretten hatten wir immer genug zu essen und mussten nicht frieren. So haben wir den Krieg überlebt.« Seine
Augen fixieren einen Punkt irgendwo hinter meinem Kopf. »Leider ist Vera nun |106| doch Raucherin geworden. Hat sie dir nie von ihrer ersten Begegnung mit Zigaretten erzählt?«
»Nein, hat sie nicht. Was meinst du denn?« Ich habe seine Auslassungen nur mit halbem Ohr verfolgt, meinen eigenen Gedanken
nachgehangen. Jetzt wird mir plötzlich klar, dass ich lieber genau zuhören sollte. »Was war mit Vera und den Zigaretten?«
Schweigen. Ziemlich langes Schweigen. Dann sagt er: »Ich hab’s vergessen.« Er schaut seitlich an mir vorbei aus dem Fenster
und hustet. »Habe ich dir eigentlich je erzählt, wie riesengroß die Dampfkessel auf diesen Schiffen waren?«
»Lass mal die Dampfkessel, Papa. Erzähl lieber da weiter, wo du gerade aufgehört hast. Bei den Zigaretten. Was ist da passiert?«
»Weiß ich nicht mehr. Kann mich nicht mehr erinnern. Ist schon so lange her.«
Er weiß es sehr wohl noch, er erinnert sich bestens. Er will nur nicht darüber reden.
Dann kommt Valentinas Schwester. Vater hat einem Mann aus dem Dorf fünfzig Pfund bezahlt, damit er in seinem Ford Fiesta nach
London fährt und sie in Heathrow abholt. Sie ist nicht blond wie Valentina, sondern hat dunkles, aufwendig frisiertes Haar
mit kleinen Ringellöckchen im Nacken. Sie trägt einen echten Pelz und Lacklederstiefel und hat ein scharlachrotes Schmollmündchen.
Kühlen Blicks betrachtet sie Haus, Herd, Staubsauger und Ehemann und verkündet dann, sie werde bei ihrem Onkel in Selby wohnen.
|107| 8.
Ein BH aus grünem Satin
Wieder eine Krise. Dieses Mal ist es die Telefonrechnung. Eine Rechnung über mehr als siebenhundert Pfund und fast ausschließlich
für Gespräche in die Ukraine.
Vater ruft mich an. »Kannst du mir bitte fünfhundert Pfund leihen?«
»Papa, das muss aufhören. Wieso soll ich dafür bezahlen, dass sie in die Ukraine telefoniert?«
»Ist ja nicht nur sie. Stanislav telefoniert auch.«
»Na, dann also alle zwei. Sie können sich doch nicht einfach ans Telefon hängen und ewig mit ihren Freunden quasseln. Sag
ihr, sie soll das von ihrem eigenen Lohn bezahlen.«
»Mhm. Ja«, sagt er und legt auf.
Dann ruft er bei meiner Schwester an.
Und sie bei mir.
»Hast du das gehört mit dieser Telefonrechnung? Also ehrlich!«
»Ich habe ihm gesagt, er muss Valentina das selbst bezahlen lassen. Ich bin jedenfalls nicht bereit, für sie aufzukommen.«
Ich bebe vor Entrüstung.
»Genau das habe ich ihm auch gesagt, Nadeshda.« Veras Entrüstung übertrifft meine noch um Längen. »Und weißt |108| du, was er geantwortet hat? Er hat gesagt, dass sie die Telefonrechnung nicht bezahlen kann, weil sie schon das Auto bezahlen
muss.«
»Ich
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