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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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angebrannt.
    »Nö-ti-gung! Nö-ti-gung! Ich dir zeigen Nötigung!« Sie steigert sich immer mehr in ihre Wut hinein, zielt mit dem Geschirrtuch
     nun auch auf seinen Kopf. Es verfängt sich an seiner Brille, reißt sie ihm vom Gesicht und schleudert sie zu Boden.
    »Valetschka, bitte   …«
    »Du fleischlos Gerippe wie abgenagte Hundeknochen, du! Phhh!«
    Sie bohrt ihm einen gelben Gummihandschuhfinger in die Rippen. »Warum bist du immer noch am Leben? Du solltest schon längst
     bei deiner Ludmilla sein – tot zu tot!«
    Er zittert am ganzen Körper und fühlt in seinen Gedärmen dieses nur zu gut bekannte Grummeln, das ihm sagt, dass er sich gleich
     in die Hosen machen wird. Der Gestank von angebrannten Kartoffeln erfüllt die Luft.
    »Bitte, Valetschka, Schätzchen, Täubchen   …«
    Sie rückt ihm immer mehr auf die Pelle mit ihren gelben Gummihandschuhfingern, die jetzt auf ihn einschlagen. Aus dem Topf
     mit den Kartoffeln steigt Qualm.
    »Du bist bald dort, wo du hingehörst. Unter der Erde. Unter Nötigung! Haha!«
    Dass Mrs.   Zatshuk an der Tür läutet, rettet ihn. Sie kommt herein, erfasst die Situation mit einem Blick, legt ihre plumpe Hand auf
     Valentinas Arm und hält sie fest.
    »Komm, Valja. Lass diesen geizigen Oralsex-Verrückten. Komm – wir gehen einkaufen.«
    Als das Schrottauto um die Ecke verschwunden ist, zieht Vater erst noch die verbrannten Kartoffeln vom Feuer, bevor er schnellstens
     ins Bad verschwindet und sich erleichtert. Unmittelbar danach ruft er mich an. Seine Stimme krächzt atemlos. »Ich glaube,
     sie will mich umbringen, Nadia.«
    |158| »Hat sie wirklich gesagt, dass du unter die Erde gehörst?«
    »Auf Russisch! Das hat sie auf Russisch gesagt!«
    »Papa – in welcher Sprache sie es gesagt hat, ist wirklich egal   …«
    »Nein, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, Sprache ist außerordentlich wichtig. Sprachen drücken nicht nur Gedanken aus, sondern
     auch kulturelle Werte.«
    »Papa, hör doch – bitte, hör mir mal zu.« Während er sich noch über die Unterschiede zwischen Russisch und Ukrainisch auslässt,
     bin ich in Gedanken ganz auf Valentina konzentriert. »Hör mir bitte einen Moment zu, Papa. Auch wenn das alles nicht einfach
     ist für dich, aber die gute Nachricht ist doch, dass sie keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hat. Das heißt, dass sie vielleicht
     demnächst abgeschoben wird. Wenn wir nur wüssten, wie lang es noch dauert   … Aber bis dahin, wenn du Angst hast, mit ihr zusammen im Haus zu bleiben, musst du zu uns kommen und hier bei Mike und mir
     wohnen.« Ich weiß, dass er das nur tun wird, wenn er wirklich völlig verzweifelt ist, weil er jede Unterbrechung seiner Alltagsroutine
     hasst. Er ist noch nie über Nacht bei uns geblieben, und bei Vera auch nicht.
    »Nein, nein, ich bleibe hier. Wenn ich das Haus verlasse, wechselt sie das Schloss aus. Ich bin draußen – sie ist drinnen.
     Hat sie schon gesagt.«
    Nachdem Vater sich von mir verabschiedet und sich wieder hinter seine fest verrammelte Tür zurückgezogen hat, führe ich drei
     Telefongespräche.
    Das erste mit dem Innenministerium. Lunar House, Croydon. Während ich warte, dass jemand ans Telefon geht, habe ich das Bild
     einer öden Mondlandschaft vor Augen, wo alles ausgestorben und leer ist und sich nichts rührt, außer dass irgendwo Telefone
     unbeachtet vor sich hin schrillen   … Trotzdem hänge ich nicht ein. Und tatsächlich |159| , nachdem es ungefähr vierzigmal geklingelt hat, nimmt jemand den Hörer ab. Eine sehr weit entfernt klingende Frauenstimme
     rät mir, eine schriftliche Eingabe zu machen, und erklärt, Akten seien vertraulich und dürften nicht mit Dritten diskutiert
     werden. Ich versuche ihr Vaters verzweifelte Lage begreiflich zu machen. Wenn man ihm doch wenigstens eine ungefähre Vorstellung
     davon geben könnte, wie der Stand der Dinge ist – ob Valentina noch einmal einen Antrag stellen kann, ob sie ausgewiesen wird   … Ich bitte und bettele, bis die Stimme Mitleid mit mir bekommt und mir vorschlägt, ich solle mich an die für die Region Peterborough
     zuständige Einwanderungsbehörde wenden.
    Als Nächstes rufe ich bei der örtlichen Polizeistation an. Ich erzähle von dem Vorfall mit dem nassen Geschirrtuch und erkläre,
     in welcher Gefahr mein Vater sich befindet. Der Polizist ist keineswegs beeindruckt. Er hat schon viel Schlimmeres gesehen.
    »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, sagt er, »aber es könnte sich auch um

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