Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch
aufeinandergepresst. Ich versuche, nicht loszulachen.
»Natürlich war es nicht schwer, ihn wieder zum Sprechen zu bringen. Ich habe ihn einfach nach Korolew und dem Raumfahrtprogramm
gefragt.«
»Und was ist bei der ganzen Sache herausgekommen? Hast du Valentina denn noch gesehen?«
»Ja. Und ich fand sie ganz wunderbar. So … dynamisch.«
Offensichtlich waren meine große Schwester und Valentina schwer beeindruckt voneinander. Valentina bewunderte Veras Art, sich
zu kleiden, und ihre Großspurigkeit. Vera bewunderte Valentinas freimütig zur Schau gestellte Sexualität und ihre Skrupellosigkeit.
Beide waren sich vollkommen einig, Vater sei erbärmlich, verrückt und verachtenswert.
»Und was ist mit den lackierten Fingernägeln? Mit den |204| hochhackigen Pantoletten? Mit dem Roller auf dem Rasen?«
»Ach ja – eine Schlampe ist sie natürlich schon. Und kriminell auch. Aber bewundern musste ich sie trotzdem.«
Ich bin enttäuscht. Ich hatte mir so viel von diesem Zusammentreffen versprochen: Zatshukscher Ehe-Kanon contra Mrs. Scheidungsexpertin; grüne Satin-Raketenabschussbasis contra Gucci-Handtasche. Jetzt merke ich, wie sehr ich mich darauf verlassen
habe, dass meine große Schwester es mit Valentina aufnimmt. Doch ich muss feststellen, dass sie in gewisser Weise aus dem
gleichen Holz geschnitzt sind.
»Der arme Papa. Ich weiß ja, dass er ein wenig exzentrisch ist, aber verachtenswert würde ich das nicht nennen.«
»Denk bloß mal daran, wie viel Ärger er allen Leuten gemacht hat – uns, den Behörden und sogar Valentina. Ich schätze, am
Ende sieht sie ein, dass sie sich lieber an jemand anderen hätte hängen sollen. Und es wäre wirklich besser gewesen, wenn
er es geschafft hätte, von Anfang an nein zu sagen. Aber er denkt ja, er kann es mit einer sechsunddreißigjährigen Schlampe
aufnehmen. Wenn das nicht verachtenswert ist, dann sag mir bitte, was sonst.«
»Aber sie hat ihn hinters Licht geführt. Sie hat ihm Honig um den Bart geschmiert, so dass er sich wieder jung und sexy fühlte.«
»Er hat sich sehr gern Honig um den Bart schmieren lassen, weil er nämlich insgeheim glaubt, dass er der Überlegene ist. Er
denkt immer, er sei klug genug, das System auszutricksen. Und es ist nicht das erste Mal, dass er so etwas gemacht hat.«
»Was meinst du?«
»Ach, es gibt so viel, Nadia, was du nicht weißt. Oder wusstest du, dass er es beinahe geschafft hat, Baba Sonia nach Sibirien
zu bringen?«
|205| »Ich erinnere mich an eine Geschichte, die Papa mir erzählt hat – da ging es vor allem um ukrainische Flugzeugbaupioniere.
Und ich erinnere mich an Mutters Geschichte über Baba Sonia und wie ihr die Schneidezähne ausgeschlagen wurden.«
Nachdem Vater 1936 sein Examen am Aeronautischen Institut in Kiew gemacht hatte, wollte er an die Universität von Charkiw,
wo Losinski und andere an der Entwicklung von düsengetriebenen Maschinen arbeiteten. Stattdessen aber schickte man ihn in
den Osten, nach Perm am Fuße des Uralgebirges, wo er an der Militärakademie der sowjetischen Luftwaffe unterrichten sollte.
Er hasste Perm. Er hasste es wegen der vielen betrunkenen Soldaten, er hasste es wegen des Fehlens jeglichen geistigen und
kulturellen Lebens, und er hasste es wegen der Tausende von Kilometern, die es von zu Hause entfernt war. Tausende von Kilometern
zwischen ihm und Ludmilla, die mit ihrem ersten Kind schwanger war. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, um wieder
heimzukommen. Aber was? Schließlich beschloss er, es mit einem Täuschungsmanöver zu versuchen. Er würde einfach die Sicherheitsüberprüfung
nicht bestehen. Und so schrieb Nikolai auf eines der zahllosen Formulare, die er auszufüllen hatte, dass er mit einer Frau
verheiratet war, die als Volksfeindin galt. Und um sich selbst in ein noch schlechteres Licht zu rücken, erfand er einen älteren
Bruder für Ludmilla, der angeblich als konterrevolutionärer Terrorist in Finnland lebte und sich dem Sturz des Sowjetstaates
verschrieben hatte.
Die Behörden konnten ihr Glück kaum fassen. Selbstverständlich wollten sie mehr über diesen konterrevolutionären Bruder wissen.
Also nahmen sie Baba Sonia fest und unterzogen sie einem mehrere Tage dauernden Verhör, in dessen Verlauf sie nicht nur intensiv
befragt, sondern auch |206| geschlagen wurde. Wo war dieser ältere Sohn? Warum tauchte er in keinem ihrer Dokumente auf? Was hatte sie sonst noch zu verbergen?
War
Weitere Kostenlose Bücher