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Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch

Titel: Kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Wänden, dicken hellen Teppichen und sehr wenigen, aber sehr teuren Möbeln. Ich war noch nie hier.
    »Gefällt mir, deine Wohnung, Vera. Sie ist viel schöner als die, in der du mit Dick gewohnt hast.«
    »Bist du noch nie hier gewesen? Ach – natürlich nicht. Vielleicht magst du ja mal wieder vorbeikommen.«
    »Ja. Oder du könntest auch mal übers Wochenende nach Cambridge kommen.«
    »Mal sehen.«
    Als Vera noch mit Dick verheiratet war, habe ich sie ein paarmal besucht. Ihr Haus mit den polierten Möbeln und den exquisiten
     Tapeten fand ich prätentiös und bedrückend.
    »Was glaubst du, was es bedeutet, Vera, dass Valentina |236| ihren Antrag zurückzieht? Ob sie wirklich ganz aufgeben will? Oder heißt es vielleicht nur, dass sie einen neuen Termin haben
     möchte?«
    »Vielleicht taucht sie einfach ab in die kriminelle Unterwelt, wo sie hingehört. Immerhin können sie sie ja nur abschieben,
     wenn sie sie finden.« Vera hat sich eine Zigarette angezündet und die Schuhe abgestreift.
    »Es könnte aber auch bedeuten, dass sie zurück zu Papa will, um ihn zu bearbeiten und dazu zu bringen, die Scheidungsklage
     zurückzuziehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es tun würde, wenn sie es nur richtig anfängt.«
    »Dumm genug dazu wäre er.« Vera betrachtet die immer länger werdende Asche an ihrer Zigarette. »Aber ich denke, sie wird untertauchen.
     Sich irgendwo verstecken und von ergaunerten Geschenken und Prostitution leben.« Die Asche fällt lautlos in einen Glasaschenbecher.
     Vera seufzt. »Und in absehbarer Zeit hat sie ein neues Opfer an der Angel.«
    »Papa kann sich auch in ihrer Abwesenheit von ihr scheiden lassen.«
    »Hoffentlich. Die Frage ist nur, wie viel er bezahlen muss, um sie loszuwerden.«
    Während wir reden, lasse ich den Blick durchs Zimmer wandern. Auf dem Kaminsims steht eine Vase mit prächtigen Callas und
     daneben eine Reihe Fotos, meist von Vera und Dick mit den Kindern, manche in Farbe, manche schwarzweiß. Doch dann entdecke
     ich noch ein anderes Bild, ein bräunlich getöntes Foto in einem Silberrahmen. Ich starre es an. Ist es möglich? Ja, es ist
     möglich. Es ist das Foto von Mutter mit dem Hut. Vera muss es aus der Schachtel im Wohnzimmer genommen haben. Aber wann? Und
     warum hat sie nichts davon gesagt? Ich merke, dass mein Gesicht vor Zorn zu glühen beginnt.
    »Vera, das Bild von Mutter   …«
    |237| »Ach ja. Wunderschön, nicht? So ein zauberhaftes Ding, dieser Hut.«
    »Aber es gehört dir nicht.«
    »Was? Der Hut?«
    »Das Bild, Vera. Dieses Foto gehört nicht dir.«
    Ich springe auf und stoße dabei mein Weinglas um. Eine Pfütze Sauvignon Blanc bildet sich auf dem Tisch und tropft auf den
     Teppich hinunter.
    »Was ist denn los, Nadia? Du lieber Himmel, es ist doch nur ein Foto.«
    »Ich muss jetzt gehen. Ich will den letzten Zug nicht verpassen.«
    »Willst du nicht über Nacht bleiben? Im kleinen Zimmer ist ein Bett für dich hergerichtet.«
    »Nein, tut mir leid. Ich kann nicht hier bleiben.«
     
    Ist es wirklich so schlimm? Es ist doch nur ein Foto. Aber es ist
dieses
Foto! Trotzdem: Ist dieses Foto es wert, eine gerade erst wiedergefundene Schwester erneut zu verlieren? Solche und ähnliche
     Gedanken rasen mir durch den Kopf, als ich im letzten Zug, der an diesem Abend noch nach Hause fährt, sitze und im Fenster
     mein Spiegelbild über den dunkler werdenden Feldern und Wäldern draußen betrachte. Das Gesicht im Fenster mit seinen im Zwielicht
     verschwimmenden Farben hat die gleiche Form, die gleichen Konturen wie das Gesicht auf der braun getönten Fotografie. Wenn
     es lächelt, ist es das gleiche Lächeln.
    Am nächsten Morgen rufe ich Vera an.
    »Tut mir wirklich leid, dass ich so schnell wegmusste. Aber ich hatte ganz vergessen, dass ich schon in aller Frühe einen
     Termin hatte.«

|238| 21.
Die Dame verschwindet
    Wenige Tage nach der verpfuschten Verhandlung fährt Eric Pike in einem großen blauen Volvo-Kombi bei Vater vor. Die beiden
     Männer sitzen im hinteren Zimmer und plaudern freundschaftlich über Luftfahrt, während Valentina und Stanislav ein ums andere
     Mal die Treppe hinauf- und hinunterlaufen, um alles, was ihnen gehört, in schwarze Müllsäcke zu packen und ins Auto zu laden.
     Mike und ich kommen gerade an, als sie wegfahren wollen. Eric Pike schüttelt Vater die Hand und setzt sich ans Steuer, Valentina
     und Stanislav quetschen sich gemeinsam auf den Beifahrersitz. Vater steht noch in der offenen Haustür, da

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