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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Ziege von Papa in die Hand drückte und auf ihre Tür zeigte.
    Wir standen vor einem Plattenbau, der für mich irgendwie ein neues Zuhause werden musste, so sagte ich es mir damals im Geist, weil die Vorstellung, für lange Jahre nicht in unser Ger zurückzukehren, mich damals fast umgebracht hätte. Ich war gerade erst sechzehn, befand mich zum ersten Mal in der Stadt, und soeben hatte sich mein Traum erfüllt.
    Wahrscheinlich glaubte ich, ich würde mir die ganzen Geschäfte anschauen, mich mit kleinen Marmeladekuchen vollstopfen, prickelnde Limonade kaufen, das Revolutionsmuseum besichtigen und heimfahren. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich mir damals vorstellte, was mir durch den Kopf geisterte. Ganz sicher aber hatte es nichts mit Arbeit oder Geld zu tun. Ich sah jeden Tag neue Dinge, und es gab ihrer viele. Was mich sofort überraschte, war Schartsetsegs Mann. Von dem war nie die Rede gewesen. Ich hatte gedacht, wir würden nur zu zweit sein, und noch dazu rührte sich Mergen tagsüber kaum aus der Küche. Ich wusste nicht, ob Schartsetseg ihm von mir erzählt hatte. Sein Gesicht war gleichgültig, die ersten paar Tage schien ich für ihn gar nicht zu existieren.
    Schartsetseg entdeckte schnell, dass ich vom Erwachsenenleben
keine Ahnung hatte, und nach einigen Tagen, in denen ich in den Kiosken für süßes Gebäck mit Cremefüllung den Großteil von dem ausgab, was ich von den Eltern bekommen hatte, und außer schrecklichen Lobeshymnen und Danksagungen, mit denen ich Gelbe Blume überhäufte, nichts von mir zu erwarten war, hatte sie begriffen, dass mir jemand zeigen musste, was es mit dem Leben auf sich hatte. Als wir ungefähr nach einer Woche so beim Frühstück saßen und ich in den Resten unserer Ziege herumstocherte, weil ich mir mit all den städtischen Verlockungen den Magen verdorben hatte, hielt Schartsetseg eine Rede. Sie rief mir Papa in Erinnerung. Sie sagte, was ich schon wusste. Dass die Stadt gefährlich und ich sehr jung und unerfahren sei und ich nicht auf die ganzen Kinos und Konservenwürstchen hereinfallen solle, auf die winzigen Radios und die feinen Tüchlein, kurz gesagt, auf all das, was ich bewunderte und haben wollte, weil hier, obwohl diese Welt fröhlich und nobel aussehe, das Messer viel öfter aufblitze als bei uns.
    In den Roten Bergen schneidet man damit den Kühen die Kehle durch, hier aber stoßen es sich die Menschen in den Rücken, bemerkte Schartsetseg abschließend und glaubte vermutlich, mir begännen die Knie zu schlottern, oder ich würde mich in den Sattel werfen und kehrtmachen und in meinen Aimak zurückpreschen. Aber ich kannte diese Reden. Viele reden so, um sich aufzuspielen, und besonders vor jungen Leuten, weil die Jungen noch nichts erlebt haben und nicht mit schlauen Belehrungen kontern können. Und so brummte ich nur hm! und stocherte weiter in der Ziege herum. Aber Gelbe Blume ließ nicht locker, und diesmal musste ich ihr Recht geben.
    Über Geld nachzudenken war mir nicht eingefallen, und so
nickte ich zu allem, was das betraf. Ich gab zu, ein verantwortungsloses Kind zu sein, und versprach, dass ich schnellstmöglich nach einer Arbeit Ausschau halten würde. Schartsetseg warf die Reste der Ziege aus dem Fenster und sagte, ich solle mich beeilen, wir sähen uns zusammen um.
    Gelbe Blume war nicht wie andere erwachsene Frauen. Mit Mama zum Beispiel ließ sie sich überhaupt nicht vergleichen. Sie redete mehr, lachte mehr und dachte mehr nach. Wenigstens stellte ich mir das so vor, weil sie ständig vor Einfällen sprühte, eine Menge Dinge sie interessierten, außerdem erlebte ich bei ihr nie dieses stumpfe Beipflichten, mit dem Mama meine Erzählungen beantwortete. Ich hatte immer den Eindruck, Schartsetseg würde mir zuhören, und das war neu, und ich schätzte das vom ersten Augenblick an sehr. Vielleicht war es dieses aufmerksame Zuhören, das mich so zu ihr hinzog, schließlich hatte ich nicht nur wegen der großen Straßen und leuchtenden Schaufenster in die Stadt gewollt, sondern auch ihretwegen. Bevor Magi ums Leben kam und Schartsetseg eintraf, um uns zu retten, war mir das aber nicht bewusst gewesen. Nun, drei Jahre später, erhob ich mich vom Tisch und zog mich für draußen an, weil sie sagte, wir würden auf Arbeitssuche gehen. Ich wusste nicht, wie man das in der Stadt bewerkstelligt, daher folgte ich ihr gehorsam, sie wusste schließlich schon, was das Leben bedeutete.
    Auf der Treppe trafen wir Mergen, er torkelte leicht, inzwischen

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