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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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hatte ich mich daran gewöhnt, dass nicht nur Mongolen, die ihr Kind verlieren, stockbesoffen sind, sondern dass auch gewöhnliche Leute trinken, denen nichts fehlt, die eine Familie haben und ein eigenes Zimmer in einem Plattenbau in der Stadt. Wie viele Leute aus unserem Somonzentrum würden die halbe Herde dafür geben, ein eigenes Zimmer
in einem Plattenbau der Hauptstadt haben zu können. Und doch sah ich hier tagtäglich Menschen, die unglücklich waren. Sie schätzten nicht, was sie hatten, sie kamen mir dumm vor, den Wodka würde ich erst viel später verstehen lernen.
    Mergen hielt sich am Geländer fest, der Wodka hatte seine Augen glasig und plumpe Holzstücke aus seinen Händen gemacht, die sich, als wir vorübergingen, unerwartet zu mir hoben.
    Da war mir klar, dass ich ihn nicht zum ersten Mal sah. An diese ausgestreckten Hände erinnerte ich mich.
    Vielleicht wollte er sich festhalten, sich fangen und ausruhen, vielleicht hatte er sich wirklich eine Umarmung erhofft, auf jeden Fall aber irrte er sich. Gelbe Blume ging nämlich hinter mir. Ich wich seinen suchenden Fingern aus, und er plumpste wie ein Mehlsack auf die Stufen. Schartsetseg hob ihn auf, half ihm zur Wohnung, sperrte wieder auf, stieß ihn ins Vorzimmer, schlug seufzend die Tür zu, und mir war der seltsame Blick, den er mir zuwarf, als sie ihm beim Aufstehen half, nicht entgangen. Ich hätte ihn auffangen können, aber ich wollte von ihm nicht berührt werden. Irgendwie spürte ich, dass er mich suchte und nicht Gelbe Blume. Dass er sich nicht geirrt hatte. Dass seine erhobenen Hände meiner Person galten, und dieses Gefühl stank ekelhaft nach seinem unangenehmen Atem und war schwer wie der Männerkörper.
    Ich wusste nicht, was Schartsetseg beabsichtigte, ich hatte keine Ahnung davon, wie es war, für jemanden zu arbeiten, fest stand jedoch, dass sie die Sache irgendwie für mich regeln würde, und so gingen wir die Straße hinunter, und ich sah mir die Leute in den überfüllten Bussen an und auf dem Gehsteig die Russen und die Mongolen, die wie Russen gekleidet waren, das alles hatte für mich noch nicht aufgehört, neu zu
sein. Wir blieben vor einem Guanz stehen, und Schartsetseg bedeutete mir, ich solle warten. Sie ging hinein und tauchte nach einer Weile mit einem Mongolen auf. Er stank nach gekochtem Hammelfleisch und wischte sich die fetten Hände an seiner schmierigen Schürze ab. Vermutlich der Chefkoch, ich erwartete, Schartsetseg würde uns vorstellen, der Typ aber maß mich nur mit einem kurzen Blick, nickte und verzog sich wieder nach drinnen.
    Während des Abendessens ließ Schartsetseg dann nur die Bemerkung fallen, ich würde morgen zum ersten Mal zur Arbeit gehen. Es war klar, wohin.

    Guanz kannte ich schon früher. Es gab nicht viele Dinge, die wir auf dem Land mit der Stadt gemeinsam hatten, das aber schon.
    Essen müssen die Leute überall.
    Während unser Guanz jedoch nur ein Ger auf halbem Weg zwischen den Roten Bergen und dem Somonzentrum war, wo wir unterwegs einer billigen Suppe oder eines lauwarmen billigen Tees wegen einkehrten, gab es in der Stadt in jeder Straße mindestens eine dieser von heißem Dampf erfüllten Garküchen. In jeder hatten sie Buuz, Chuurag, Limonade und Tee, das war genauso wie bei uns.
    Vorne vier Tischchen, dann eine Theke, und hinten kochten Erka und Purew. Beide waren Bekannte von Schartsetseg und daher nett zu mir, sie waren nicht einmal dann böse, wenn ich einen Fehler machte.
    In den ersten paar Tagen wischte ich die Tische ab und wusch den Fußboden, spülte das Geschirr, schenkte Tee aus und rührte nur manchmal um, so dass ich nicht viel verderben konnte. Später aber war ich manchmal ganz allein im Guanz,
verwechselte in den Dunstwolken die Töpfe und hudelte schweißgebadet herum, während an der Theke die Leute grölten und die Nudeln in den Kasserollen brodelten. Aber alles renkte sich ein, ich hatte Arbeit und ein bisschen Geld, und Schartsetseg hatte ihre Ruhe.
    Was sie machte, wusste ich nicht. Mergen saß meistens daheim oder auf der Straße und trank.
    Mergen war der Mensch, der nicht wie ein Mongole aussah und einmal zu uns ins Ger gekommen ist, als ich als Kind krank war. Gesichter merke ich mir gut.
    Damals fühlte ich zum ersten Mal, dass Mama nicht nur Magi, mich und Nara hatte, sondern auch andere Dinge, die sie interessierten und die ihr Kummer bereiteten. Und deswegen war mir seine unsichere, zittrige Zuneigung widerwärtiger als die anderer. Er gehörte

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