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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Besuch gewesen. Mama bedeutete ihr angeblich, rasch zu verschwinden, bevor Papa von der Herde käme, und soll sie erst nach langem Überreden kurz an sich gedrückt haben.
    Den Rest kannte ich. Bei den nächsten Besuchen wollte sich Chiroko bereits nicht mehr verstecken, und so lernten wir uns kennen. Papa konnte durch den Wodkanebel nicht einmal die eigenen Finger sehen und war ohnehin meistens fort, so
dass es egal war. Eins war mir nicht klar. Wie Chiroko Mama hatte finden können.
    Als wir uns zum vierten Mal sahen und sie mir diese Geschichte erzählte, sagte ich ihr das gleich ins Gesicht. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, wie Mama aussah. Und niemand von den Verwandten hatte eine Ahnung, wo Mama und Papa ihr Vieh weiden ließen.
    Chiroko lächelte nur, zog die Augenbrauen hoch und packte mich mit ihren großen Händen an den Schultern.
    Ich fühlte mich in ihrer Umklammerung wie ein Reiskorn, das durch eine einzige unwillkürliche Bewegung dieser Frau bis zu den Wolken geschnipst werden konnte, und bei der Vorstellung des anschließenden Sturzfluges schwindelte mir. Keine Angst, sagte sie, und ich wand mich in ihrem Griff, damit sie mich losließe. Ihre behaarten starken Hände waren mir nicht angenehm, was sie sagte aber schon. Es ist nicht schlecht, zu so einer großen Schwester zu kommen.
    Von da an besuchte ich sie, solange sie im Kloster war, mehrmals pro Jahr, und auch nachdem sie in die Stadt gezogen war. Bevor ich Tuuleg begegnete, kannte ich keine anderen so festen, verlässlichen Arme wie ihre. Wie sie Mama gefunden hat, begreife ich bis heute nicht. Nachdem ich mich ihr entwunden und sie neuerlich gefragt hatte, stemmte sie die Arme in die Hüften wie ein Böchtschin, ein Ringer beim Naadam, als wollte sie sagen, das wüsstest du gerne, was? Ein stilles Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, innerlich aber, kam mir vor, schüttelte sich Chiroko vor Lachen. Dumm, dumm bist du und noch sehr jung.
    Am Ende besuchte Chiroko Mama öfter als wir. Jeder von uns war froh, von zu Hause weg zu sein. Nur weil jemand alt ist, verdient er noch lange keinen Respekt, war Schartsetsegs
liebste Redewendung. Mir gefielen solche Reden nicht, was ich tat, lief aber aufs Gleiche hinaus. Meine Kinder lernten Mira, ihre Großmutter, kaum kennen.
    Ich schämte mich vor Tuuleg für sie und meinen Vater. Mama waren fast alle Zähne ausgefallen, so dass fremde Leute sie nicht verstanden, und wenn Tuuleg sich zu ihr hinunterbeugte, um wenigstens das Wichtigste zu verstehen, hatte ich Angst, sie würde ihn mit Speichel bespritzen und mir Schande bereiten.
    Papa war, ob jung oder alt, immer damit beschäftigt, sich zufrieden seine Eingeweide mit Alkohol zu begießen, wurde mit der Zeit dann aber immer schwächer, und schließlich musste ihm Mama sogar die Flasche halten. Wenigstens hörte er zu randalieren auf. Mama ging nun ohne blaue Flecken herum, und ich konnte mit Papa zum ersten Mal Gespräche führen. Ein paar Mal unterhielten wir uns, wie es war, als er jung und die Autos Metallbären waren, vor denen sich die Landbewohner fürchteten, und welche Schönheit Mama war, als sie noch Haare und Zähne hatte. Dann starb Papa, und Mama folgte ihm bald nach.
    Als Chiroko im Kloster Schluss machte, übersiedelte sie in ein Ger des Jurtenviertels von Ulan Bator, dessen weiße Filzkuppeln rund ums Stadtzentrum wie Milchtropfen in alle Richtungen verspritzt sind.
    In die richtige Stadt, dorthin, wo die Häuser so eng aneinanderkleben wie ausgestreckte Finger und es in einer einzigen Straße mehr Leute gibt, als ließe man sie auf einen Schlag aus sämtlichen Ger herauspurzeln, in denen ich je war, in diese innere Stadt kam ich nie.
    Chiroko besaß ein heimeliges Ger fast am äußersten Rand des Jurtenviertels. Innerhalb der Umzäunung des Ger hielt sie
zehn Ziegen, aber weder Schafe noch Kühe, nur zwei magere Pferde. Meine älteste Schwester war bei den Leuten angesehen. Den Mönchsdeel hatte sie nach ihrem Auszug aus dem Kloster zwar ablegen müssen, Kontakte mit übernatürlichen Wesen pflegte sie aber immer noch. Sie war nicht halb so stolz wie die alte Dolgorma, und daher fürchteten sich die Leute nicht vor ihr, und ihre breiten Schultern dienten vielen Unglücklichen aus der Umgebung, um sich auszuweinen und Trost zu finden. Wenn eine der mit ihren Kindern allein lebenden Frauen Hilfe bei einer Männerarbeit brauchte, kam sie auch.
    Chiroko trug Stiere auf der Schulter, konnte ohne die Hilfe eines anderen ein Ger aufstellen,

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