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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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ruhig neben dem Ofen. Keiner von uns kann mehr sehr gut schlafen, wir wärmen einander im Bett mit den Hüften und gucken in die Finsternis. Tuuleg hat schrecklich zu schnarchen begonnen, und ich werde daher, wenn ich früher einschlafe, ohnehin von seinen röchelnden Atemzügen aufgeweckt. Ich tätschle ihm immer die Wangen, er brummt kurz, und Ruhe ist. Auch die Enkel besuchen uns manchmal. Ich habe in einer Schachtel Bonbons für sie und schütte ihnen gleich ein paar hin. Auch Aaruul zerbreche ich in Stückchen und stelle ihn in einer Schale vor sie hin. Am meisten spricht Tsetsegma. Zula nickt dazu, Batdschar knabbert am Aaruul und sagt meist nichts.

    Alte Menschen nerven. Sich bloß von dieser Last befreien. Darin sind sich alle einig. Als ich klein war und meine Großmutter noch lebte, mussten wir sie besuchen gehen. Sie wohnte nicht weit weg, und daher kam das ziemlich häufig vor. Vor dem Ger atmeten Gerle und ich immer tief ein und bemühten uns, es drinnen mit der frischen Luft so lange wie möglich auszuhalten. Batdschar, Zula und Tsetsegma müssen nicht zu mir kommen. Daher sehe ich sie kaum. Sie haben ein Stück zu gehen, und für sie ist das offenbar wie eine Reise ans Ende der Welt. Als ich Ojuna fragte, ob ich stinke, hat es ihr die Sprache verschlagen. Wie viele gute Ratschläge ich ihnen erteile. Wahrscheinlich ist es immer noch zu wenig.
    Ich weiß ziemlich viel und möchte nichts davon mit mir nehmen. Die Gallenblase will und will nicht Ruhe geben, und Ojuna hat einfach keine Zeit. Wem soll ich denn alles erzählen?
    Mit Schartsetseg konnte man über fast alles reden. Als ich jung und noch mit allen meinen Kindern beisammen war, kam sie, um uns zu helfen. Jetzt würde sie nach der langen Reise aus der Hauptstadt den Geist aufgeben, sie war schon etliche Jahre nicht hier, und ich werde sie schwerlich überhaupt noch je sehen, aber ihre Worte halten sich in meinem Kopf wie im Juli der Schnee auf den Gipfeln der Roten Berge. Sie wollte mich damals dazu verlocken, mit ihr zu fahren. Das hier ist kein Leben, sagte sie. Als sie einmal mit Fotos von der Stadt kam und ich die Unmengen fremd gekleideter Menschen sah und die stolzen Betonmauern, unterbrochen von Fenstern, in denen sich die Bläue des Himmels wie in einem Fluss spiegelte, schwankte ich. Doch da war bereits Magi unterwegs, und Tuuleg wollte von einem Umzug nichts hören.
    Schartsetseg hat es zu etwas gebracht. Sie arbeitete als Leiterin
im Fleischkombinat und konnte sich von einem einzigen Monatslohn einen Fernseher oder ein Bett und ein Radio kaufen, wenn sie das wollte. Von Tuulegs Pferden sagte sie, sie wären schön gebaut, und das Fleisch unserer Kühe war ihrer Meinung nach das saftigste, das sie je aß. Wir gaben ihr ein paar Fleischstücke, damit sie sie im Kombinat herzeigte, aber irgendwie kam dabei nichts heraus. Angeblich nehmen sie ihren eigenen Leuten das Fleisch ab, und zusätzliches brauchen sie nicht in der Hauptstadt.
    Wenn die Rede auf Mergen kam, seufzte Schartsetseg meistens und starrte auf den Boden. Der Umgang mit Mergen muss schwierig sein. Zum Alkohol hatte er es, soweit ich mich erinnere, noch nie weit gehabt, und mit dem Geldheimbringen ist er angeblich auch langsam. Schartsetseg hat Augen wie Nadeln. Wenn sie so ihrem Herzen Luft macht, werden sie ganz glänzend, und sie sagt dann, das wäre kein Leben. Wie damals, als sie mich überreden wollte.
    Ich sagte ihr unverblümt, meinetwegen müsse sie Mergen nicht behalten, aber sie lässt sich nichts sagen.
    Hätte ich nicht Druck auf sie ausgeübt, wäre das zwischen Dzaja und Mergen für mich bis heute ein Geheimnis geblieben. Ich werde dir deinen gelungenen Chuurag nicht vermiesen, brach es einmal beim Abendessen aus ihr hervor, kaum dass sie gekommen war. Erst am nächsten Tag in der Früh kannte ich die ganze Geschichte. Die Zeit, bis sie damit fertig war, reichte dem Himmel, sich zu verfinstern und wieder zu verblassen. Die Worte glitten, gleichzeitig mit ihrem Streicheln, aus ihr heraus. Ihre Hände fuhren auf meinen Schultern hin und her wie bei Chiroko, als sie Nara besänftigte.
    Wenn Chiroko ihr Gesicht zu einem anderen hinunterneigte und ihm mit kreisenden Bewegungen ihr heilendes
Muster auf den Rücken zeichnete, war nachher mindestens die halbe Krankheit verschwunden. Im Ernst. Sie hatte große Handteller und Arme, behaart wie bei einem Mann. Sie überragte die anderen mindestens um einen Kopf, und wenn sie sprach, war es, als würde eine Kuh über

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