Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
war jedem, der es brauchte, mit ihren heilenden Händen und Heilung bewirkenden Beschwörungsformeln gefällig. Dafür brachten ihr die Leute Wodka, Süßigkeiten, die besten Teile junger Schafsböcke, Wolfsfelle, Kaschmir und anderes. Chiroko musste sonst nichts tun und lebte gut in ihrem kleinen sechswandigen Ger.
Am meisten liebte sie kleine Kinder und Tiere. Wenn ihr eine der Frauen ihr Kleines zum Beaufsichtigen brachte, lehnte sie nur selten ab. Sie ließ vier oder fünf kleine Kinder gleichzeitig auf ihrem Rücken reiten, wieherte wie eine echte Stute, und vom Zaun von Chirokos Chaaschaa tönte das Hämmern Dutzender Kinderfäuste, die auch aufsitzen wollten. Chirokos Taschen waren prall gefüllt mit Bonbons, und wenn ein Kind weinend zu ihr kam, kochte sie ihm Tee zur Beruhigung und ließ es bei sich übernachten.
Außer den Kindern stand Chiroko Seruul am nächsten, ein silbergraues Pferd, das sie einem Nuudeltschin, knapp bevor er es abmurksen konnte, unter dem Messer weggeholt hatte.
Seruul war mit schlechten Beinen geboren worden. Sie waren krumm, und er konnte höchstens ein Kind auf seinem Rücken tragen. Unter einem Erwachsenen begann er richtig zu schaukeln, sackte ein, und hätte die große Chiroko es ein einziges Mal mit ihm versucht, hätte das sein Ende bedeutet. Ich kann mich an Seruul erinnern vom ersten Augenblick an, ab dem Chiroko in der Stadt wohnte. Er sah bis zu seinen letzten Tagen wie ein Fohlen aus. Ein kleines, zaundürres ängstliches Pferd. Auch Chiroko hatte etwas von einem ewigen Kind.
Sie wurde nie zur Frau. Sie hatte die langen knochigen Beine halbwüchsiger Mädchen, und Männer interessierten sie nie. Das Haar schnitt sie sich wie bei einem der kleinen Mädchen zu einem kurzen Struwwelkopf, so dass sie von hinten nicht als Frau zu erkennen war.
Durch ihr Ger gingen Unmengen Obdachloser, die für zwei, drei Nächte einkehrten und aufgewärmt und aufgepäppelt weiterzogen. Einige von ihnen kamen wieder, andere nicht, und Chirokos Ruhm wuchs. Nach ein paar Jahren war sie im ganzen Jurtenkamp für ihre Heilkräfte bekannt, und mit der Berühmtheit mehrten sich auch die Verleumdungen. Niemand hatte sie je mit einem Mann gesehen, was für Gerede mehr als genug Anlass bot. Manche ihrer regelmäßigen Besucher werde ich nie vergessen. Da war ein Junge mit Gummihänden, der mit einem Bein schreiben und sich mit dem anderen gleichzeitig am Rücken kratzen konnte. Angeblich war er aus einem russischen Zirkus getürmt, er war ein Erliiz, der Bastard einer Ballerina, wie man munkelte. Er stellte sich jedes Jahr am Ende des Winters ein, um sich von den langen eisigen Monaten zu erholen, in denen es nur Wasser gegeben hatte und knorpelige Essensreste, die er den Hunden abjagte, oder ein anderer, ein grünäugiger baumlanger Kerl, der auf
der Suche nach einem Stück Brot Ger für Ger das ganze Jurtenviertel abklapperte und jedem aushalf. Niemand hatte den Jurtenring von Ulan Bator so abgegangen wie er. Er kannte jeden und erzählte Chiroko immer sämtlichen neuen Klatsch, den sich die Leute während des vergangenen Jahres über sie aus den Fingern gesogen hatten. Er blieb sechs, sieben Tage und trug für Chiroko so viel Argal zusammen, dass sie wieder lange Zeit Ruhe hatte. Meine Schwester mochte ihn, weil er spürte, wenn es an der Zeit war, und dann still zusammenpackte und nicht herumzufeilschen begann, um bleiben zu können.
Das war der Grund, warum Nara und sie sich sofort in die Haare gerieten. Als diese unglückliche Sache mit Dschargal passierte und niemand wusste, was mit Nara zu tun wäre, fand ich, dass ihr einige Monate bei Chiroko wieder auf die Beine helfen könnten. Chiroko hatte nichts dagegen, und so kam sie zu uns, und wir ritten dann alle drei zu ihr.
Unterwegs sträubte sich Nara, wir hielten sie zwischen uns fest, weil niemand wissen konnte, ob sie nicht ihr Pferd wenden und zurück zu ihrem Geliebten jagen würde. Sie probierte es ein paar Mal, aber Chiroko redete ihr zu, und nachher blieb sie schweigend auf ihrem Pferd sitzen und ließ sich von uns führen. Mir schien, die zwei könnten sich miteinander verstehen, doch hielt das nur bis zu der Zeit an, als wir in der Stadt eintrafen und Nara entdeckte, wie es bei Chiroko zuging.
Wir ließen sie einige Tage in Ruhe, passten nur auf, dass sie nicht davonlief, und Chiroko übertraf sich selbst darin, zu lächeln, nette Komplimente zu machen und die Gute zu spielen, was sich Nara gefallen ließ. Aber die Händel
Weitere Kostenlose Bücher