Kurzschluss
»Wachsamkeit und vor allem, dass wir die spekulativen Ausschläge rechtzeitig erkennen und gegebenenfalls sofort für uns nutzen. Davon wird mehr denn je unser Geschäftsergebnis abhängen.« Er hätte auch Überleben sagen können, doch er formulierte es genauso vorsichtig, wie es Bodling bei der in drei Wochen anstehenden Genossenschaftsversammlung tun würde.
Die Blicke der beiden Männer waren auf Hasso Schweizer gerichtet, der mit seinem hellen Jackett weitaus lockerer und legerer wirkte als sie. Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Na ja, Sie wissen selbst, wie schnell sich die Lage ändern kann. Wenn man es genau nimmt, darf man den ganzen Tag über die Notierungen nicht aus den Augen lassen.« Zumindest was die Versorgung der privaten Haushalte anbelangte, wurden die Strommengen schon für die nächsten eineinhalb Jahre im Voraus geordert. Wer also günstig einkaufte, konnte den Tarif für die Privatkunden über einen längeren Zeitraum stabil halten.
»Deshalb haben wir Sie«, erwiderte Bodling süffisant lächelnd, um dann nachzuhaken: »Ihr Kollege Büttner hat nicht gesagt, dass er sich heute verspätet?«
Bereits als Schweizer allein zu dieser montäglichen Besprechung erschienen war, hatte sich der Geschäftsführer über das Fernbleiben des zweiten Mannes aus diesem Team verwundert gezeigt. Büttner war vorige Woche zu einem Informationsbesuch in Leipzig gewesen und hätte heute wieder erscheinen sollen.
»Nein, er hat sich nicht gemeldet. Aber vielleicht hat er inzwischen angerufen.« Kaum hatte Schweizer dies gesagt, erhob sich Feucht, dessen Nadelstreifenanzug ebenso korrekt saß wie die dezent blaue Krawatte. Als sei er dazu aufgefordert worden, öffnete er die Tür zum Vorzimmer und fragte die blonde Aushilfssekretärin, die in der vergangenen und in dieser Woche für ihre beiden Kolleginnen eingesprungen war, ob sich Büttner gemeldet habe. Sie verneinte, worauf Feucht wieder an den Besprechungstisch zurückkehrte.
»Das erscheint mir merkwürdig«, stellte Bodling sachlich fest und schaute auf seine Armbanduhr. »Vielleicht sollten wir mal bei ihm zu Hause anrufen.«
Über Feuchts Gesicht huschte ein Lächeln. »Ich schlage vor, wir warten noch.«
Schweizer sah die beiden Männer ratlos an und zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, was das bedeutet. Frank, ich meine Herr Büttner, ist normalerweise sehr korrekt. Wenn er sich verspätet, ruft er an.«
Feucht überlegte, ob er etwas bemerken sollte, entschied dann aber, es für sich zu behalten. Nicht jedes Gerücht musste gleich verbreitet werden. Und ob wirklich etwas dran war, dass sich Büttner vor einigen Wochen von seiner Frau getrennt hatte, war bisher von niemandem bestätigt worden.
*
Blaulichter zuckten, das Heulen von Martinshörnern erfüllte das enge Tal. Zwei Streifenwagen der Polizei, ein Notarztfahrzeug und ein Kastenwagen des Roten Kreuzes waren von der nahen Bundesstraße rechts in den schmalen Weg eingebogen, der zu dem Weiherwiesensee führte. Unterwegs hatte ein Rettungssanitäter mit einem Spezialschlüssel die Metallschranke geöffnet, die 100 Meter hinter der Fischzuchtanlage die Zufahrt in dieses Naturschutzgebiet versperrte.
Die Helfer und die Polizeibeamten versuchten sofort, die Person aus dem Wasser zu bergen, doch es gelang ihnen nicht, sie mit vereinten Kräften und im seichten Ufermorast watend an Land zu ziehen. Die Männer, deren Hosen bis zu den Knien durchnässt und verschmutzt waren, vermuteten, dass ein schwerer Gegenstand den Kopf des leblosen Körpers nach unten zog. Ohne technische Hilfe sahen sie keine Chance, ihn herauszuhieven. Die Hektik ebbte ab, nachdem der Notarzt, tief im morastigen Wasser stehend, kein Lebenszeichen mehr festgestellt hatte. Jede Hilfe kam also ohnehin zu spät.
Mittlerweile war auch die Feuerwehr eingetroffen, die zwei kleine Schlauchboote zu Wasser ließ. Ein schneller Versuch, den Leichnam damit ans feste Ufer zu bringen, scheiterte jedoch ebenfalls. Deshalb entschied der polizeiliche Einsatzleiter, professionelle Taucher der Wasserschutzpolizei hinzuzuziehen – auch wenn es mehr als eine Stunde dauern würde, bis diese aus dem 70 Kilometer entfernten Stuttgart eintrafen.
Der Polizeiführer vom Dienst meldete unterdessen per Funk: »Kripo ist unterwegs.«
»Okay«, bestätigte einer der Uniformierten über sein tragbares Gerät.
»Frage«, kam es schlecht verständlich zurück, weil der Polizeifunk noch immer nicht digitalisiert war, »handelt es
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