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Kurzschluss

Kurzschluss

Titel: Kurzschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sich um eine männliche oder weibliche Person?«
    Der Beamte, der bis zu den Knöcheln im weichen Erdreich eingesunken war, entschied: »Vermutlich männlich. Ob Suizid oder nicht, lässt sich im Moment nicht sagen. Der Oberkörper ist vermutlich mit einem Gegenstand beschwert worden.«
    »Habe klar.« Es klickte im Lautsprecher.
    Herbert Braun war inzwischen an den Beamten herangetreten, mit dem er bereits einige Worte gewechselt hatte. »Nach Selbstmord sieht das ja nicht gerade aus«, meinte er und spürte den Kloß im Hals.
    Der Polizist zuckte mit den Schultern. »Kann man nie wissen. Es gibt so Verrückte, die binden sich selbst einen Stein um den Hals und springen damit ins Wasser. Alles schon dagewesen.«
    Allein beim Gedanken an so etwas überkam den Naturfreund ein Schauer. Er hatte Mühe, seinen Blick von dem aufgeblähten Kleidungsstück abzuwenden.
     
    *
     
    »Sie sollten mal die Dokumentation über Enron lesen«, empfahl Rupert Bodling seinen beiden Mitarbeitern, während er einen Schnellhefter von einem Aktenstapel nahm, der links von ihm lag. Die beiden anderen wussten, was gemeint war: Enron, das US-amerikanische Energieunternehmen, war vor einiger Zeit in die Schlagzeilen geraten, weil es an der Strombörse offenbar durch die Eingabe falscher Kaufs- und Verkaufsdaten einen künstlichen Stromengpass provoziert hatte. Die Folge, so wurde gemutmaßt, waren mehrere größere Stromausfälle in Kalifornien gewesen. »Wir dürfen nicht vergessen«, fuhr Bodling fort, »dass alles, was in den USA gelaufen ist, früher oder später zu uns rüberschwappt. Ich empfehl Ihnen, sich das zu Gemüte zu führen.«
    »Bislang hat man das ja bei uns für eher unwahrscheinlich gehalten«, gab Alfred Feucht mit der kühlen, zurückhaltenden Art eines scharfen kaufmännischen Rechners zu bedenken.
    »Was machbar ist, wird gemacht«, meinte Hasso Schweizer lässig. »Ich wette eine Million, dass bei uns schon solche Schweinereien laufen.«
    Bodling sah ihn skeptisch von der Seite an. »Ich will Ihnen gar nicht widersprechen, nur sollten wir mit solchen Äußerungen außerhalb dieses Raumes vorsichtig sein. Denn eines ist klar, meine Herrschaften …« Er senkte die Stimme, als habe er Angst, abgehört zu werden. »Wir könnten ein potenzielles Opfer dieser Machenschaften sein.«
    Feucht nippte an seiner Tasse. Er hatte den Eindruck, dass der Chef das Thema auffallend oft ansprach.
    Schweizer runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie, Herr Bodling, aber Totschweigen und Schönreden hilft uns nicht weiter. Wir sind ein gut eingeführtes und traditionsreiches Unternehmen. Und wir sollten uns nicht zum Spielball der Großen machen.«
    »Ganz so einfach kriegen die uns nicht«, unterbrach ihn Feucht. »Als Genossenschaft kann uns keine dieser Heuschrecken schlucken. Vergessen Sie nicht: Eine Genossenschaft funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten als eine Aktiengesellschaft.«
    Schweizer ging nicht darauf ein. Er kannte die Strukturen und brauchte nicht belehrt zu werden. Trotzdem erschien ihm das Treiben an der Strombörse, das er tagtäglich von Berufs wegen verfolgen musste, immer suspekter. Seit 2002 diese Einrichtung in Leipzig geschaffen worden war, hatte er den Eindruck, dass stets neue undurchsichtige Gebilde entstanden, die nicht allein zum Wohle der Menschheit mit Energie handelten. Da wurden Millionen von Kilowattstunden per Mausklick hin- und hergeschoben, ohne dass sie der Käufer tatsächlich gebraucht hätte. Seit Jahren schon verkamen Wirtschaftsgüter zu reinen Spekulationsobjekten. Sogar Emissionsberechtigungen, worunter man bestimmte Schadstoffmengen verstand, die die Industrie in die Luft blasen durfte, wurden auf diese Weise gehandelt. Schweizer hatte den Eindruck, dass es überhaupt nichts mehr gab, was nicht in irgendeiner Weise von den globalen Monopolyspielern zum Zwecke des Geldvermehrens gehandelt wurde. Es war eine Parallelwelt entstanden, von der der ehrlich werktätige Mensch keine Ahnung hatte. Ihn ließ man gerade mal über die normale Aktienbörse ein bisschen daran teilhaben – nur mit dem Ziel, ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen. Schweizer musste plötzlich an die sogenannten Börsenspiele denken, die vor Jahren von den Geldinstituten veranstaltet worden waren, um das Normalvolk an Aktien heranzuführen. Wenig später hatten die vielen ›Internetbuden‹ Pleite gemacht, die kurzfristig eine wundersame Geldvermehrung erhoffen ließen. Ganz zu schweigen von der viel gepriesenen

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