Kurzschluss
deren Außenwände mit Efeu bewachsen waren. Ein Fenster war mit Brettern vernagelt, aus einer Dachseite ragte ein Blechkamin heraus. Das Gebäude schien vermodert und seit Jahren ungepflegt zu sein. Offensichtlich war die Natur längst dabei, es für sich zu vereinnahmen.
Die beiden Männer spielten ihre Rolle als Waldarbeiter weiter. Sie deuteten auf diesen oder jenen Baum und gingen an der Hütte entlang zu dem schmalen Wiesengrundstück, von dem es eine zweifelhaft schöne Aussicht zu den dampfenden Kühltürmen von Gundremmingen gab.
Dorthin war auch die Eingangstür ausgerichtet, an der den Männern ein neues Vorhängeschloss auffiel, das mit seinem blanken Metall gar nicht zu den vermoosten Brettern passen wollte. Die getarnten Ermittler blieben an der Tafel mit den Gefahrenhinweisen stehen. Einer von ihnen fingerte unauffällig ein kleines Mikrofon aus der Brusttasche, das mit einem Funkgerät im Arbeitskittel verbunden war. Er führt es dicht an den Mund: »Keine Personen erkennbar«, flüsterte er und steckte es wieder weg.
Für ihre Kollegen, die etwa 100 Metern entfernt auf dieses Zeichen gewartet hatten, bedeutete dies Zugriff. Unterdessen folgten zwei junge Radler dem geschwungenen Weg zum Donauufer.
*
Linkohr hatte bei den Kollegen der Verkehrspolizei sowohl in Göppingen als auch in den umliegenden Kreisen Alb-Donau, Heidenheim, Aalen, Rems-Murr und Esslingen nachfragen lassen, wo es in der Nacht zum Mittwoch polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen gegeben hatte. Er wurde in seiner Einschätzung bestätigt: nirgendwo. Vermutlich hatte eine Kommune ein privates Institut losgeschickt – weniger wohl, um die Verkehrsmoral der Bürger zu verbessern, wie Linkohr mutmaßte, sondern um das Soll der jährlich im Etat ausgewiesenen Bußgelder tatsächlich zu erreichen. Weshalb sonst, so war ihm erst kürzlich fragwürdig erschienen, wurden samstags in aller Frühe Kontrollen in einer 20-km/h-Zone gemacht oder vor Schulen auch in Ferienzeiten Blitzkästen oder Videokameras positioniert? Ein Polizeipraktikant, der zur Verstärkung der Sonderkommission von der Bereitschaftspolizei zugeteilt worden war, hatte an diesem Samstagvormittag mehrere Telefonate geführt und sogar den Leiter des Ordnungsamts privat angerufen. Jetzt konnte der junge Beamte sagen: »Es hat wohl in der näheren Umgebung nur eine einzige Kontrolle gegeben – in Geislingen auf der Karlstraße. Dort gilt Tempo 20.«
»Na also«, gab sich Linkohr zufrieden. »Und wie schnell kommen wir an die Fotos?«
»Normalerweise dauert die Auswertung drei bis vier Wochen«, erklärte der Praktikant. »Aber sie könnten es notfalls bis morgen Mittag schaffen. Vorausgesetzt«, er grinste. »Vorausgesetzt, wir übernehmen die Kosten.«
Linkohr zögerte. »Sagen Sie dem Chef Bescheid, der soll das entscheiden. Vielleicht halten sich unsere Täter dann künftig an die Dienstzeiten der örtlichen Behörden.«
Anschließend verließ Linkohr das Polizeigebäude, um sich mit Ingo Frederiksen im Hotel Krone zu treffen. Nachdem die Beerdigung seines Schwiegervaters noch nicht terminiert werden konnte, weil dies von der Freigabe der Leiche durch die Staatsanwaltschaft abhing, zog sich der Aufenthalt des Paares aus Norwegen unerwartet in die Länge.
Linkohr hatte um ein Vieraugengespräch gebeten, das in einer Ecke des Gastraumes geführt werden konnte, in dem sich zu dieser Zeit ohnehin noch niemand aufhielt. Er bestellte für sich und Frederiksen Kaffee und spürte bereits das schlechte Gewissen seines Gegenübers.
»Ich hätte Ihnen gleich alles sagen sollen«, begann der Däne deshalb rasch. »Lea, meine Frau, hat mir große Vorwürfe gemacht. Aber verstehen Sie bitte, dass ich meinen Job nicht aufs Spiel setzen möchte. Wenn das alles publik wird, ist meine Karriere beendet.«
Linkohr leerte den Inhalt des Zuckertütchens in seine Tasse. »Man sollte nicht gleich so schwarz sehen«, blieb er gelassen. »Sie stehen auf der Seite des Gesetzes, von Recht und Ordnung.«
»Was ist das schon, Recht und Ordnung? Recht ist das, was dem Kapitalismus dient – und nicht der Umwelt. Ich bin zur Wasserkraft gegangen, sagt man das so?, weil ich darin die Zukunft sehe. Aber anstatt diese Energie günstiger zu machen, wird sie in den Sog der Manipulationen und Spekulationen an der Börse reingezogen. Wäre das nicht so, Herr Linkohr, müsste der Strom bei Ihnen billiger sein – denn ein Teil wird über zertifizierte Mengen rein theoretisch bei uns in
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