Kurzschluss
Überraschungsmoment entschieden.
Bei drei krachte und splitterte es dumpf, die Tür zum Nachbarraum sprang berstend aus dem Rahmen; auf der rechten Seite wurde ein Fensterladen abgerissen und nahezu gleichzeitig die Scheibe eingeschlagen.
Maschinengewehrläufe zeigten schlagartig in den Innenraum.
Für einen Augenblick waren die Männer sprachlos. Das spärliche Licht fiel auf eine völlig entkräftete Gestalt, die mit einer knapp drei Meter langen Kette am linken Handgelenk an einen Holzpfosten gebunden war, der das Verließ in der Mitte abstützte.
Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis die SEK-Kräfte ihre Waffen sinken ließen. Vor ihnen brach eine nackte Frau zusammen. So erschütternd ihr Anblick auch war, wie sie zwischen einigen Packungen Lebensmittelvorräten und Mineralwasserflaschen einerseits sowie drei abgedeckten Eimern ihrer Notdurft andererseits zu Boden sank, so machte sich doch Erleichterung breit. Die Gesuchte lebte.
48
Georg Sander hatte am gestrigen Samstagabend während der langen Fahrt von Geilo nach Jorpeland, ganz im Südwesten, unweit von Stavanger gelegen, unablässig darüber nachgedacht, ob er die Videokassette einer Polizeistation anvertrauen sollte. Andererseits gehörte Norwegen nicht der Europäischen Union an, was sicher bei der Übermittlung des Beweismittels an bundesdeutsche Behörden wieder großen bürokratischen Aufwand bedeuten würde, dachte er. Doris hatte sich in den vergangenen Tagen bereits mehrfach darüber beklagt, dass er stundenlang schweigsam hinter dem Lenkrad saß. Aber was hätte er auch auf der langen Strecke erzählen sollen? Wenn der Motor so laut dröhnte, dass man beinahe das eigene Wort nicht verstand?
Auf der Fähre, die sie am Abend in Nesvik über Garsund- und Jøsenfjord hatten benutzen müssen, war es ziemlich unübersichtlich gewesen. Jede Menge Wohnmobile standen in Zweierreihen dicht hintereinander. Sander war im Fahrzeug sitzen geblieben. Ein paar Wohnmobile waren ihm bekannt vorgekommen. Eines aus Baden-Baden, ein anderes aus München. Aber eines mit Kennzeichen HZ war, soweit er es von seinem Sitz aus hatte überblicken können, nicht dabei. Bei der jenseitigen Ankunft war Hektik aufgekommen: Ein Pärchen hatte den Schlüssel im abgeschlossenen Wohnmobil stecken lassen. Sander und alle anderen hatten beim Verlassen der Fähre mühsam an dem Fahrzeug vorbeirangieren müssen.
Der Campingplatz, den sie bei Jorpeland anvisiert hatten, lag direkt an der Straße zum Preikestolen, diesem Felsplateau, das 602 Meter senkrecht aus dem Lysefjord herausragt. Die Rezeption war um 22 Uhr nicht mehr besetzt gewesen, obwohl noch die Sonne geschienen hatte. Wie auf vielen Campingplätzen wurden die Spätankömmlinge mit einem Zettel darauf hingewiesen, dass sie sich einen Stellplatz suchen und sich morgen anmelden sollten.
Einfach war es nicht, noch ein freies Plätzchen zu finden. Der Touristenandrang an diesem markanten Ort war groß. Nach ihnen waren sogar weitere ›Wohnmobilisten‹ eingetroffen, wie Sander am nächsten Tag, einem herrlichen Sonntagvormittag, feststellte.
Der strahlend blaue Himmel war dazu angetan, seine Gemütslage zu verbessern. Außerdem konnte er sich jetzt doch den Wunsch erfüllen, diesen Felsen zu besteigen, den sie vor einer Woche angesichts der gewaltigen Entfernungen eigentlich hatten aussparen wollen. So aber hatte ihnen die Fahrt zu den Gletschern und über das riesige Hochland Hardangervidda hinab in den Südwesten noch einige beschauliche Fjordumrundungen beschert.
Seine gute Laune bekam jedoch einen Dämpfer, als er sich im Waschhaus, direkt vor den Duschen, einem Gesicht gegenüber sah, das ihn elektrisierte. Stoppelbärtig, schwarze Haare, mittleres Alter. Irgendwo hatte er es schon einmal gesehen? In Geiranger? War das der Mann, der ihm dort aufgefallen war? Der Unbekannte, der sich vom Waschbecken gewandt hatte, als Sander in eine der Duschkabinen gehen wollte, grinste: »Schöner Tag heute, was?«
Smalltalk im Toilettenhaus, dachte Sander und wusste nicht so recht, was er antworten sollte. »Ideal für den Preikestolen«, entfuhr es ihm mehr aus Verlegenheit als aus Gesprächsbereitschaft.
Zwei weitere Männer betraten die Räumlichkeiten und trugen ihre Toilettenutensilien bei sich.
»Rauffahren oder von hier aus wandern?«, erkundigte sich der Mann, der nach einem herben Parfüm roch.
»Wandern, von hier«, gab sich Sander einsilbig und hätte sich ohrfeigen können. Natürlich war es normal, dass sich
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