Kurzschluss
sachlich. »Wir werden uns den Frederiksen zur Brust nehmen. Und Sie passen auf sich auf, ja? Und wenn Sie großen Schiss haben, bringen Sie die Kassette auf irgendeine Polizeistation.«
46
Rupert Bodling war blass und übernächtigt. Auf seinem Schreibtisch hatte sich inzwischen ein hoher Aktenberg angehäuft. Seit dem Verschwinden von Frau Rothfuß konnte er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren – und dies in den Wochen vor der Generalversammlung seiner Genossenschaft. Seit gestern bekannt geworden war, dass man in der Donau die Kleidungsstücke gefunden hatte, war die Stimmung im Betrieb so getrübt wie niemals zuvor.
Bodling war an diesem Samstagvormittag ins Büro gekommen, um den wichtigsten Schriftverkehr zu sichten. Doch er bemerkte, dass er das Gelesene überhaupt nicht wahrnahm. Wie heute morgen, als er im Morgengrauen zur Schlafzimmerdecke gestarrt hatte, drehten sich seine Gedanken nur um Frau Rothfuß und diesen geheimnisvollen Hinweis auf eine Hütte, der nicht vollständig zu entziffern war. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Natürlich. Ein Hinweis auf eine Hütte war das gewesen – und jetzt lagen die Kleider in der Donau. Diese Zahl, natürlich – diese Zahl! Diese Zahl, hinter der ein Stück des Zettels fehlte.
Bodling sprang auf, als müsse er seine Idee in die Welt hinausschreien.
Er griff zu einem Zettel, den er sich unter die Schreibtischunterlage geklemmt hatte. Es war die Handynummer von Häberle.
*
Wolfgang Taler hatte sich auf Bitten Bodlings in den vergangenen Tagen zurückgehalten und keine weiteren Recherchen mehr angestellt. »Wir sollten das jetzt der Polizei überlassen«, hatte Bodling empfohlen. Auch Taler wurde von Selbstzweifeln geplagt. Möglicherweise, so meldete sich sein Gewissen immer öfter, hatten seine Nachforschungen in irgendeiner Weise dazu beigetragen, dass Frau Rothfuß in Gefahr geraten war. Stundenlang hatte er darüber nachgegrübelt, welche Querverbindungen es zwischen den einzelnen Personen geben könnte. Er rief sich das Gespräch mit der jungen Frau in Erinnerung, bei dem sie ihn hatte abblitzen lassen. Allzu gerne hätte er sich mit ihr näher befasst – nicht nur, weil sie ihm überaus sympathisch erschien, sondern er den Eindruck hatte, dass sie mehr wusste, als sie sagen wollte. Deshalb hatte er ihr seine Visitenkarte gegeben. Damit hätte sie jederzeit seine Handynummer parat gehabt.
Hätte. Verdammt, überfiel Taler schockartig ein entsetzlicher Gedanke. Hätte.
Auf der Visitenkarte stand seine bisherige Handynummer. Seit vergangenem Montag, als er das phänomenale neue iPhone von T-Mobile erhalten hatte – ein herrliches Spielzeug für alle, die Freude daran hatten, die global vernetzte Welt komplett in der Hosentasche zu tragen –, da lag sein altes Gerät in irgendeiner Schublade. Er wollte es als Ersatz benutzen und hatte die bisherige Vodafone-Nummer nicht portieren lassen können, weil sein Vertrag mit dem Netzbetreiber noch ein halbes Jahr lief.
Frau Rothfuß hatte ihn also gar nicht erreichen können.
Er zog eine Schublade seines Schreibtisches auf und griff zu dem alten Handy, dessen erloschenes Display darauf hindeutete, dass der Akku leer war. Taler stöpselte es ans Ladegerät, gab den PIN-Code ein und wartete, bis es hochgefahren war. Augenblicke später wurde ihm signalisiert, dass es Nachrichten auf der Mailbox gebe, die er sich sofort vorspielen ließ. Bei den ersten beiden, die im Laufe des Dienstags eingegangen waren, handelte es sich um Glückwünsche zur gewonnenen Wahl, doch dann mit Uhrzeit 00.48 Uhr am frühen Mittwochmorgen eine aufgeregte Frauenstimme: »Hallo«, Pause, dann wieder: »Hallo, Hilfe.« Wieder eine Unterbrechung, dann noch emotionaler und verzweifelt: »Ich werd verfolgt!« Taler starrte auf das Display, als könne er sehen, wovon die Stimme sprach. Dann der letzte Satz: »Und geblitzt wurde ich auch.« Ende des Gesprächs.
Für ihn bestand keinerlei Zweifel, wer die Anruferin war: Silke Rothfuß.
Für eine Schocksekunde lang blieb Taler sitzen. Als er sich wieder gefangen hatte, notierte er die Uhrzeit: 00.48, Mittwoch. Das war über drei Tage her.
Er musste sofort Häberle verständigen.
*
Häberle hatte eine lange und vor allem teure Nacht hinter sich. Auch ohne die 250 Euro war er letztendlich mehr losgeworden, als er von seiner Verwaltung ohne immensen Formularkrieg jemals wieder zurückerstattet bekommen würde. Jetzt, auf der Fahrt zum letzten Ziel seiner
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