Kurzschluss
krächzte die Stimme spöttisch. »Ich freue mich, dass Sie zu meinem Turmdienst gekommen sind. Allerdings werden Sie tun müssen, was ich will.«
»Und das wäre?« Häberle blieb ruhig. Linkohr war ganz dicht an ihn herangetreten, um mithören zu können.
»Sie werden dafür sorgen, dass ich unbehelligt diese schöne Gegend verlassen kann. Und zwar ich mit meinem Freund, der mich chauffieren wird. Ersparen Sie sich also den Versuch, uns daran zu hindern.«
Häberle kannte die Stimme. Allein schon ihr Klang bestätigte ihn in seiner Vermutung. »Egal, was Sie sich ausgedacht haben, Wollek«, sagte er und blickte noch immer zum Turm, in der Hoffnung, dass sich sein Gesprächspartner am Fenster zeigen würde. »Egal, was Sie sich ausgedacht haben – ich glaube kaum, dass es sich realisieren lassen wird.«
»Was haben Sie denn schon für eine Ahnung, Herr Häberle? Die Welt ist größer als Ihre fünf Täler da unten.« Wieder ein Lachen, dann im Hintergrund eine kräftige Männerstimme: »Mensch, tun Sie was, ich glaub, der meint es wirklich ernst.«
Sofort meldete sich wieder der andere: »Haben Sie gehört, was unser Freund gesagt hat? Im Übrigen sollten Sie nicht unterschätzen, dass sehr einflussreiche Kreise Interesse daran haben, mich hier rauszuholen.«
Aha, daher wehte der Wind, dachte Häberle. Er hätte am liebsten ironisch geantwortet: Was, wohl ein Freund des Innenministers? Doch der Chefermittler war erfahren genug, um in solchen Situationen keine unnötige Schärfe hineinzubringen. »Geben Sie mir mal Ihren«, er suchte nach einer passenden Bezeichnung, »Ihren Freund.«
Wortlos wurde das Handy übergeben. »Hier spricht Leichtle«, sagte die kräftige Stimme und Häberle wusste, mit wem er es zu tun hatte. Mit dem Kommunalpolitiker Peter Leichtle, einem Mietwagenunternehmer und weithin bekannten Chauffeur prominenter Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Showbusiness. Außerdem Leichenbestatter.
»Bitte passen Sie auf, ich denke, es ist besser wir tun, was er sagt«, erklärte Leichtle schwer atmend und verunsichert. Seine Stimme verlor an Selbstbewusstsein. »Ich will nicht hier oben sterben, Herr Häberle.«
Der Chefermittler wollte etwas erwidern, doch dann war wieder Wollek am Handy: »Haben Sie gehört? Herr Leichtle will noch nicht sterben.« Wieder das hämische Lachen.
»Jetzt passen Sie mal auf«, blieb Häberle unbeeindruckt. »Sie lassen mich sofort rein und dann reden wir miteinander.« Dass dies nichts mehr als der in Deeskalationskursen gelehrte Versuch sein würde, beruhigend auf den Täter einzuwirken, war ihm natürlich klar.
»Rein kommt hier überhaupt keiner«, bläffte der Mann zurück. »Nur raus – und zwar wir. Herr Leichtle hat bereits seine Frau angerufen. Sie wird in einer Dreiviertelstunde mit einem vollgetankten Fahrzeug aus seinem Fuhrpark hier auftauchen. Daimler S-Klasse, vollgetankt und mit Leichtles Kreditkarte. Für unterwegs. Dann fährt mich mein Freund Leichtle höchstpersönlich – ha …«, ein überhebliches Lachen, »er ist schließlich Prominentenkutscher – nach Portofino.«
Häberle überlegt ein paar Augenblicke. »Wohin bitte? Portofino?«
»Ja, Portofino. Italien. Ligurische Küste. Für meinen Freund Leichtle kein Problem.«
»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn Häberle höflich. »Aber wie wollen Sie unbehelligt durch zwei Länder kommen?«
»Wie?«, kam es energisch zurück. »Indem Sie uns den Weg frei machen, Herr Häberle. Haben Ihnen Ihre Schnüfflerkollegen nicht berichtet, dass wir eine zweite Schachfigur aus dem Spiel genommen haben?«
»In Norwegen«, zeigte sich Häberle informiert. »Was heißt eigentlich wir?«
»Ja, wir – richtig. Und ich kann Ihnen auch sagen, welche Figur wir aus dem Spiel genommen haben.«
Häberle antwortete nicht.
»Es ist kein Bauer, kein König, kein Springer, sondern ein Journalist«, verkündete der Mann aus dem Turm triumphierend.
Häberle hatte dies befürchtet. Es musste sofort versucht werden, mit Sander Kontakt aufzunehmen. Deshalb wollte er das Gespräch beenden. »Sie sollten sich nicht überschätzen«, sagte er. »Was wollen Sie eigentlich in Portofino?«
»Ich sagte doch – ich hab einflussreiche Freunde, die auf mich warten, um mich abzuholen.«
»Mit einer Jacht?«
»Wenn ich einen Flieger gewollt hätte, hätten wir es ja wohl nach Echterdingen näher. Aber denken Sie dran, Herr Kommissar – versuchen Sie nicht, mich auszutricksen. Herr Leichtle möchte noch ein paar
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