Kurzschluss
nichts Außergewöhnliches mehr. »Weiß man denn, wo wir seine Exfrau erreichen können?«
Der Albwerk-Chef sah dem Kriminalisten fest in die Augen. »Offiziell wissen wir das nicht. Aber seine Frau ist wohl Inhaberin einer Zeitarbeitsfirma in Ulm. Time-Sharing heißt das Unternehmen.«
Häberle zeigte sich dankbar für diese Informationen und bat um die Namen von Büttners engsten Kollegen.
»Das sind Hasso Schweizer und Markus Wollek«, entgegnete Bodling, ohne zu zögern. »Zusammen mit Büttner bilden sie das Dreierteam, das die Entwicklung an der Börse beobachtet, analysiert und die zukünftige Entwicklung abzuschätzen versucht. In der heutigen Zeit ein sehr wichtiger Job.«
Häberle hatte unterdessen aus einer der vielen Taschen seines Jacketts einen Notizblock herausgezogen und sich die Namen aufgeschrieben. »Kann ich mit den beiden reden?«, fragte er.
»Mit Herrn Schweizer ja – aber Herr Wollek hat noch bis einschließlich übermorgen Urlaub. Ob er verreist ist, weiß ich nicht. Sie können es ja mal bei ihm zu Hause versuchen. Er wohnt in Breitingen, kleine Ortschaft im Alb-Donau-Kreis. Richtung Langenau.«
Häberle verzichtete auf eine genaue Beschreibung. Als Wanderer und Freizeitradler kannte er sich in der näheren und weiteren Umgebung aus. Die Ortschaft lag im weithin bekannten Lonetal, jener Gegend, in der man eine der ältesten kulturellen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte gefunden hatte: Den sogenannten Löwenmenschen, eine kleine aus Knochen geformte Skulptur, die sich im Hohlenstein fand, vielleicht 15 Kilometer flussabwärts von diesem Breitingen.
»Mal angenommen, es handelt sich bei dem Toten um Herrn Büttner«, kam Häberle wieder zur Sache, »könnten Sie sich vorstellen, wer ihm nach dem Leben getrachtet hat?«
Bodling machte eine nichts ahnende Geste. »Sie dürfen mir glauben, dass ich mir darüber seit einer halben Stunde Gedanken mache. Keine Ahnung. Wie gesagt, sein Privatleben ist mir völlig fremd.«
»Und beruflich? Es könnte doch sein, dass in diesem hart umkämpften Geschäft mit allen Bandagen gekämpft wird.«
»Dass mit allen, vor allem aber mit harten Bandagen gekämpft wird, Herr Häberle, das dürfen Sie wohl glauben – aber Herr Büttner hat nur seinen Job getan. Wenn ihm deswegen jemand nach dem Leben trachtet, würde dies an der Geschäftspolitik unseres Unternehmens nichts ändern, falls Sie das meinen.«
»Ein Stromversorger wie das Albwerk hat es in diesen Zeiten besonders schwer«, gab sich Häberle verständnisvoll. »Wie viele solche«, er suchte die richtigen Worte, »solche kleinen Stromversorger gibt es in Deutschland noch?«
»800«, antwortete Bodling schnell, »etwa 800, meist jedoch Stadtwerke und eher seltener Genossenschaften wie wir.« Und er fügte hinzu: »Wir sind davon eine der größten.«
»Keines dieser Unternehmen produziert aber selbst Strom?«
»Doch, doch«, betonte Bodling. »Und zwar auf vielfältige Weise. Blockheizkraftwerke, Fotovoltaik, Wind, Wasser – oder durch Beteiligungen an großen Kraftwerken. Aber den überwiegenden Teil des Bedarfs müssen wir natürlich beziehen.« Er ließ entspannt die Arme über die Seitenlehnen seines Stuhles baumeln. »Gehandelt wird der Strom, wie ich sagte, an der Leipziger Börse. Und produziert werden diese riesigen Mengen in unzähligen Elektrizitätswerken in ganz Europa. Das sind Kohle- und Gaskraftwerke, natürlich auch Atom- und Wasserkraftwerke. Sie alle speisen ihre elektrische Energie in ein einziges Verbundnetz ein, das den gesamten Kontinent abdeckt. Allerdings – und da wird es für den Laien schwierig, das gebe ich zu – kann natürlich keine größere Menge eingespeist werden, als augenblicklich verbraucht wird. Strom lässt sich nicht speichern. Zumindest nicht in dieser Form und in dieser Menge; schön wär’s, wenn das ginge. Das funktioniert nur in Akkus, wie wir sie von Handys kennen, oder von der Autobatterie.«
Häberle hatte keine so ausführliche Antwort erwartet, aber er wollte den Redefluss des Vorstandsvorsitzenden nicht bremsen. Schließlich interessierte ihn das Thema auch privat.
»Sie kennen doch die Formulierung: Das Gerät zieht soundsoviel Watt. Es zieht also den Strom aus der Leitung«, fuhr Bodling fort. »Und wo Energie entnommen wird, muss im gleichen Augenblick etwas eingespeist werden.« Bodling versuchte in solchen Momenten, die Herstellung von Strom und seine Verteilung möglichst laienhaft verständlich zu erläutern.
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