Kurzschluss
zur gegenüberliegenden Wand, an der ein ausgefranstes Poster der letztjährigen Landesgartenschau von Neu-Ulm hing. Etwas Schreckliches geschehen, hallte es in ihrem Gehirn nach. Etwas Schreckliches.
Der Anrufer schwieg. Er wartete auf eine Antwort, doch die Frau war in diesem Augenblick nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Die Stille in der Leitung dehnte sich für beide zu einer halben Ewigkeit aus.
Dann, endlich, drang die Stimme des Mannes an ihr Ohr. »Frank ist tot.«
Sie hielt den Atem an.
13
Rupert Bodling war bei dem Gespräch mit Häberle ins Schwitzen gekommen. Er lockerte seine Krawatte, zog das Jackett aus und warf es über die Lehne seines Schreibtischsessels. Er musste seine Gedanken ordnen. Büttner hatte es tatsächlich mit ganz anderen Kalibern zu tun. Und wenn er jetzt umgebracht worden war, wenn es stimmte, was dieser Kommissar angedeutet hatte, dann hatte der Konkurrenzkampf eine völlig neue Dimension angenommen. Bodling ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken, drückte einen Knopf und bat die Sekretärin, ihm eine Tasse Kaffee zu bringen. Er schloss die Augen, um sich der Tragweite dieser Ereignisse bewusst zu werden. Andererseits, so hämmerte es in seinem Gehirn, malte er vielleicht auch nur selbst den Teufel an die Wand. Bislang gab es nicht die geringsten Hinweise darauf, dass Büttners Tod mit seiner geschäftlichen Tätigkeit zu tun hatte. Möglicherweise gab es private Gründe. Die meisten Morde, so erinnerte er sich, waren Beziehungstaten. Eifersucht. Rache. Habgier. Hingegen waren berufliche oder gar politische Intrigen als Motive für einen Mord doch eher die Seltenheit. Oder aber, quälten ihn seine Gedanken, es wurden Verbrechen dieser Kategorien präziser geplant oder vertuscht. Vielleicht kam ja nur die Spitze des Eisbergs ans Tageslicht und viele Morde in Wirtschaftskreisen blieben unerkannt. Wie oft schon hatte man gelesen, dass irgendwelche Manager oder auch Politiker bei rätselhaften Verkehrsunfällen ums Leben gekommen waren? Einer war sogar mal in der Badewanne eines Hotels ertrunken.
Bodling erschrak über derlei Gedanken und wurde durch die aufgehende Tür in die Realität zurückgeholt. Er öffnete die Augen und lächelte der Sekretärin zu, die mit einem Tablett auf ihn zukam. Sie sieht heute wieder verdammt gut aus, dachte er. Silke Rothfuß, Mitte 30, verstand es vortrefflich, ihre Figur auf dezente Weise zu betonen, während ihr knieumspieltes dunkles Kleid sie mit einem Flair vornehmer Zurückhaltung umgab. Sie nutzte die Tage, an denen sie aushilfsweise tätig war, um geschickt auf sich aufmerksam zu machen.
»Ihr Kaffee«, sagte sie mit charmantem Lächeln und stellte das Gedeck auf Bodlings Schreibtisch. »Stress heute?«, fragte sie anteilnehmend.
»Das kann man wohl sagen«, bejahte der Chef und nahm einen Schluck des viel zu heißen Kaffees.
Die Frau war bereits ein paar Schritte entfernt, als sie durch Bodlings Frage gestoppt wurde: »Wie war das noch mal genau mit den freien Tagen von Herrn Büttner? Und wann kommt eigentlich Herr Wollek wieder?«
»Moment, ich habe mir das heut früh alles notiert.« Silke Rothfuß verschwand im Vorzimmer und kam Augenblicke später mit einem Notizblock an seinen Schreibtisch zurück. »Herr Büttner war von Montag bis Mittwoch vergangener Woche in Leipzig. Soweit wir wissen, ist er bereits am Sonntag gefahren. Und von Donnerstag bis zum jetzigen Wochenende hatte er Urlaub eingetragen. Er hätte also heute wieder erscheinen sollen.«
Bodling nickte. Erstaunlich, dachte er. Sie ist nur als Aushilfe beschäftigt, wenn es sich – wie im Moment – nicht vermeiden ließ, dass die beiden angestammten Sekretärinnen gleichzeitig Urlaub hatten, und kann sich verblüffend schnell in aktuelle Geschehnisse einarbeiten. Er schätzte dies besonders an ihr.
»Und Herr Wollek hat regulären Urlaub«, fuhr die Frau fort und warf ihre langen blonden Haare mit einer heftigen Kopfbewegung nach hinten. »Seit zwei Wochen. Noch bis einschließlich übermorgen.«
»Kann man ihn erreichen?«
»Wollek?« Sie verschränkte ihre Arme und hielt dabei den Block in der Hand. Ohne auf eine Antwort zu warten, erklärte sie: »Er ist wohl mit seinem Wohnmobil weggefahren. Aber wir könnten es mal auf seinem Handy probieren. Vielleicht ist er auch schon zurück.«
»Mit dem Wohnmobil – jetzt?« Bodling sah sie ungläubig an, während er sich zurücklehnte und Tasse samt Untertasse hielt. »Er hat doch schulpflichtige Kinder,
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