Kurzschluss
erhob. Auch hier fiel den beiden Kriminalisten die moderne Stilrichtung der Regale und Schränkchen auf. Doch kaum hatte Häberle eine der Türen geöffnet, bot sich ein unerwarteter Kontrast: Auf Tischen und alten Kommoden, die sich entlang der Wände aneinanderreihten, standen Monitore und Computer, alte Videorekorder neben modernen DVD-Playern sowie Lautsprecherboxen und ein riesiges Mischpult. Auf dem Boden stapelten sich Aktenordner und Schnellhefter, jede Menge alte Zeitungen und Zeitschriften – und in Kisten entdeckte Häberle Kabel mit den unterschiedlichsten Steckverbindungen. Ein dicker Vorhang dämpfte das Licht und an der Stirnseite des Zimmers hing ein Poster, das eine nackte Schönheit zeigte, die vor einem idyllischen Waldsee auf einem Stein saß. Ihre Beine waren übereinandergelegt, in den Händen hielt sie einen Herbststrauß, als sei er ein Feigenblatt, mit dem sie ihre Blöße zu verbergen versuchte. Ihr Blick, so befand Häberle, hatte etwas Provozierendes, etwas Erotisches.
»Toll, was?«, hörte er plötzlich Linkohrs Stimme hinter sich.
Er wandte den Blick von dem Poster und lächelte. »Ich bin zwar oft in der Landschaft unterwegs, aber so jemand ist mir noch nirgendwo begegnet.«
Linkohr hatte sich inzwischen über die Geräte hergemacht. »Das sieht nach einem kleinen Filmstudio aus.«
»Sie meinen, Büttner hat die Kleine selbst in Szene gesetzt?« Häberle ging an der langen Reihe der Computer entlang.
»Kann doch sein. Da – schauen Sie mal, da hat er noch mehr davon.« Er deutete auf ein halbes Dutzend gerahmter Bilder auf einem Regal. »Das ist immer dieselbe Frau.«
»Stimmt«, konstatierte der Chefermittler. Die Frau – dreimal nackt – stehend, kniend, von hinten. Dreimal leichtgeschürzt – im schwarzen Ledermini und mit bauchfreier Bluse, in extrem kurzen abgeschnittenen und ausgefransten Jeans sowie in einem hauchdünnen Strandkleid.
»Seine Neue vielleicht«, überlegte Linkohr laut und es klang wie ein neidvoller Seufzer.
»Mich würde ja brennend interessieren, was der Kerl hier für Filme zusammengebastelt hat«, brummte der Chef.
»Jedenfalls keine Landschaftsfilme.«
»Oh doch«, erwiderte Häberle und zeigte auf das Poster. »Landschaft auch, aber mit rassigem Vordergrund.« Der Kommissar bückte sich zu den Aktenordnern, die sich in der Mitte des Raumes türmten. Er öffnete einen davon und stutzte: »Was soll jetzt das?«
Linkohr drehte sich um und kam näher, während Häberle drei, vier weitere Ordner nacheinander aufschlug. »Der Mann hat sich auch noch mit etwas Ernsterem befasst.«
Linkohr besah sich die Schriftstücke, die alle offenbar auf die Energiewirtschaft bezogen waren. Grafiken zeigten den Stromverbrauch der letzten Jahrzehnte, in seitenlangen Abhandlungen erläuterten Experten die Zukunftsaussichten für Energieunternehmen. »Fehlt bloß noch, dass er eine Nackte ins Umspannwerk gestellt und zwischen Isolatoren geknipst hat«, meinte Häberle.
»Elektrisierend wär’s auf jeden Fall«, kommentierte Linkohr süffisant.
»Vielleicht sollten wir versuchen, sein Lieblingsmotiv ausfindig zu machen«, grinste der Kommissar und spöttelte: »Das wär doch eine Herausforderung für Sie, oder?«
Linkohr wusste nicht, ob er lachen sollte. Beinahe wäre er rot geworden, was ihm äußerst peinlich gewesen wäre.
»Wir werden uns seine Telefondaten geben lassen. Wahrscheinlich hat er ja mal mit ihr telefoniert«, fuhr Häberle fort und riskierte einen weiteren Blick auf das Poster.
Linkohr blätterte unterdessen in einem Schnellhefter, der seitenweise handschriftliche Aufzeichnungen enthielt.
»Unsere Computerfreaks werden all das Zeug hier genauer unter die Lupe nehmen«, entschied der Chefermittler. Den Gedanken, einen der Rechner einzuschalten, hatte er schnell wieder verworfen. Man benötigte sicher irgendwelche Passwörter, die nur von Experten herauszufinden waren.
»Hier hat er ein paar Telefonnummern notiert«, befand Linkohr und zeigte auf das vorderste Blatt in dem Schnellhefter. »Null-Dreier-Vorwahl. Sieht nach Ossi-Land aus.«
Häberle wollte sich gerade dieser Entdeckung zuwenden, als ein Geräusch sie aufschreckte. Kurz und dumpf klang es und kam nicht von draußen. Es war, als schlage Holz gegen Holz. Die beiden Kriminalisten sahen sich für einen Moment ratlos an. Häberle forderte seinen Kollegen mit einer Kopfbewegung auf, ihm leise in die Diele zu folgen. Sie näherten sich lautlos der geschwungenen Treppe und blickten
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