Kurzschluss
vorbringen sollte, doch irgendwie würde sich dies gesprächsweise ergeben. Seit gestern Nachmittag drehten sich die Gedanken der Mittdreißigerin nur noch um den Tod Büttners und die vielen Gespräche, die es im Betrieb gegeben hatte. Bodling und die anderen aus der Chefetage wurden zunehmend nervöser und es erschien ihr so, als befürchteten sie, in den Strudel des Verbrechens hineingezogen zu werden.
Silke Rothfuß hatte die Frau, die sie in dem gemütlichen Dorfwirtshaus in Luizhausen treffen wollte, voriges Jahr beim Betriebsfest in Begleitung ihres Mannes gesehen.
Dass sie sich für das rustikale Gasthaus in Luizhausen entschieden hatten, lag an der räumlichen Entfernung, die sich damit für beide ziemlich genau teilte. Außerdem liebte die Frau, die aus Ulm kam, die schwäbische Küche, die der Wirt dieses Lokals pflegte – dazu noch mit Angeboten, bei denen das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte.
Silke Rothfuß war von der Umgehungsstraße abgebogen, um das altehrwürdige Gasthaus Löwen-Post anzusteuern, dessen Vorplatz neu gestaltet worden war. Das Gebäude präsentierte sich mit Blumen- und Pflanzenschmuck und war fein herausgeputzt, obwohl es gewiss schon vielen Generationen von Reisenden hier oben auf der kargen Albhochfläche als Einkehr- und Übernachtungsort diente. Sogar Napoleon hatte angeblich eine Nacht hier verbracht.
Die Blondine stellte ihren gelben VW Eos auf dem geschotterten Parkplatz neben zwei anderen Autos ab, nahm die Handtasche vom Beifahrersitz und begab sich in den Nieselregen. Beim Öffnen der Tür fühlte sie sich inmitten eines ländlichen Idylls. Wie in einem liebevoll eingerichteten Museum waren hier antiquarische Möbel, alte Arbeitsgeräte aus der Landwirtschaft und Radios drapiert, dazwischen Blumengebinde und allerlei anderes Dekorationsmaterial. Es roch nach altem Holz. Die Frau entdeckte einen matten Spiegel, besah sich darin und war mit ihrem Äußeren zufrieden. Dann wandte sie sich jener Tür zu, an der ein Schild mit der Aufschrift ›Gaststube‹ angebracht war. Ohne zu zögern trat sie ein und stellte fest, dass sich das rustikale Ambiente fortsetzte, das aus unzähligen alten Radiogeräten, Musikschränken samt Plattenspieler und bäuerlichen Utensilien bestand. Auf den Fenstersimsen standen Grünpflanzen, die Decke war mit Stroh und Gehölzen dekoriert.
Der grauhaarige Wirt, der hinterm holzvertäfelten Tresen Bier zapfte, sah kurz auf und lächelte. »Grüß Gott, nur hereinspaziert, schöne Frau«, sagte er, um sich sofort wieder dem Zapfhahn zuzuwenden.
Silke grüßte zurück, ließ den Blick durch das Lokal streifen, in dem sie zwei besetzte Tische registrierte, an denen ihr einige junge Männer zugrinsten. Diese ignorierend, wandte sie sich selbstbewusst, wie sie war, dem optisch leicht abgetrennten zweiten Teil des Raumes zu. Dort saß die gesuchte Gesprächspartnerin in einer Ecke, abseits eines Musikschranks aus der Mitte der 50er-Jahre, in dem Radiogerät und Schallplattenspieler eingebaut waren. Für einen Moment überlegte sie, ob die Musik, die dezent zu hören war, aus einem dieser historischen Apparate kam.
Dann jedoch hatte sie die Frau erreicht, die knapp 15 Jahre älter war als sie. »Hallo«, lächelte sie und reichte ihr zur Begrüßung die Hand. »Schön, dass es geklappt hat.«
»Um ganz ehrlich zu sein, mich hat die reine Neugier getrieben«, erwiderte Gaby Büttner. Sie hatte Bodlings Aushilfssekretärin anders in Erinnerung gehabt. Beim Betriebsfest, als sie sich kennengelernt hatten, war ihr die aufreizende Kleidung der jungen Frau aufgefallen und deshalb unangenehm in Erinnerung geblieben. Silke war mit ihrem kurzen Faltenrock offenbar darauf aus gewesen, die anwesenden Herren auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt jedoch trug sie legere Jeans und eine Freizeitjacke, auf der feine Wassertropfen glitzerten.
»Danke nochmals, dass Sie gekommen sind«, sagte die junge Frau, rückte den verschrammten Wirtshausstuhl an den Vierertisch heran und setzte sich. Zufrieden stellte sie fest, dass die Musik und die Gespräche der anderen Gäste laut genug waren, sodass sie nicht zu befürchten brauchte, von jemandem belauscht zu werden. »Ich weiß, dass Sie seit gestern vieles durchgemacht haben«, zeigte Silke Rothfuß Verständnis, um ihr Anliegen behutsam vorzutragen. »Ich hab mir lange überlegt, ob ich Sie einfach so anrufen kann. Aber«, sie sah der Frau fest in die Augen, »gerade, wo so etwas Schreckliches passiert ist – mit
Weitere Kostenlose Bücher