Kuss der Ewigkeit
genug zu identifizieren war und den ich tunlichst meiden wollte, doch der Richter hatte keinen erkennbaren Geruch gehabt, und alles, was ich aus Gils Richtung auffing, war ein Hauch von Lavendel und Vanille– Düfte, die in einer Welt voller Parfüm und Duschgel viel zu verbreitet waren.
Mit einem weiteren Seufzer fragte ich mich, warum ich mir überhaupt die Mühe machte, ihren Geruch im Gedächtnis abzuspeichern. Der Richter war mir nicht zufällig auf der Straße über den Weg gelaufen. Er war aus dem Nichts erschienen.
Nathanial trat hinter mich und ließ dabei seine Hände über meine Schultern gleiten. » Du siehst aus, als wolltest du jeden Augenblick davonlaufen«, flüsterte er und zog mich an sich.
Die Geste hatte eine anmutige Vertrautheit an sich, so, als wäre es für ihn etwas völlig Alltägliches, mich in seine Arme zu ziehen. Von seiner Haut ausgehende Hitze drang durch meinen Mantel. Ich hatte nicht bemerkt, dass mir kalt war, bis er mich berührte, doch nun lief mir ein Schauer über den Rücken. Die Versuchung, mich in seine Wärme zu kuscheln, traf mich unvorbereitet und, um es offen zu sagen, kotzte mich an. Röte schoss mir in die Wangen, und ich schüttelte ihn ab.
» Fass mich nicht an!«, zischte ich und trat noch einen Schritt zur Seite.
Bobby, der in der Nähe meiner Füße kauerte, machte einen Buckel und stellte die Nackenhaare auf. Er knurrte den Vampir an.
Ein Ausdruck unbeherrschter Drohung zuckte über Nathanials Gesicht, verschwand aber schnell wieder, als sich die gleichgültige Miene, die ich zuvor bereits an ihm gesehen hatte, wie eine Maske darüberlegte. Er lächelte mit zusammengepressten Lippen, doch das Lächeln erreichte nicht seine Augen.
» Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte er. » Wir haben viel zu tun und nur sehr wenig Zeit.«
Wir? Von wegen!
Meine Gedanken mussten mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn er fuhr fort: » Der Richter sagte › du und deine Freunde gehören ihm und seiner Justiz‹. Das bedeutet, der Luchs hier und natürlich ich werden den Dämonen vorgeworfen, wenn es dir nicht gelingt, den Einzelgänger aufzuspüren. Dachtest du nicht, dass ich dir dabei helfen würde?«
» Ich will und brauche deine Hilfe nicht.«
» Dann bist du überzeugt davon, dass du den Einzelgänger allein jagen kannst?«
» Natürlich bin ich das.« Nicht. Keine Chance. Ich war keine Jägerin, ich war eine Ausreißerin, zweifellos von meinem Clan als hoffnungsloser Streuner abgestempelt. Wie sollte ich einen wahnsinnigen verwandelten Shifter finden, und das in nur zwei Tagen? Selbst wenn ich ihn fand, was sollte ich dann mit ihm anstellen? Ihn an einen Stuhl fesseln und darauf warten, dass der Richter auftauchte? Ich trat gegen einen Schneehaufen und starrte auf die Furche, die mein Schuh darin hinterließ.
Ich konnte spüren, wie mich Nathanial und Gil ansahen, doch indem ich auf den Boden starrte, vermied ich es, allen Blicken bis auf denen von Bobby zu begegnen. Er musterte mich, nicht in der Lage, bei der Unterhaltung mitreden zu können. Das schwache Licht der Straßenlaternen fing sich in seinen Augen und verwandelte sie in grüne, glühende Scheiben. Ich hatte deutlich den Eindruck, dass er wusste, dass ich log– sie alle wussten es vermutlich.
Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, legte mir Bobby eine seiner Vorderpfoten auf den Tennisschuh und fuhr die Krallen aus, nicht genug, um das Material zu durchbohren, aber genug, um die Tatsache klarzumachen, dass er nicht vorhatte, mich ohne ihn gehen zu lassen. Er war nicht bei Bewusstsein gewesen, als der Richter und ich unseren Handel geschlossen hatten, aber offensichtlich hatte er sich die Einzelheiten aus der gegenwärtigen Unterhaltung zusammengereimt. Ich versuchte, Bobby wegzustupsen, hörte allerdings damit auf, als ich spürte, wie das Obermaterial meines Schuhes riss– gute Turnschuhe waren schwer zu kriegen. Natürlich würde ich mir darüber vermutlich nicht mehr allzu lange Sorgen machen müssen. Okay, das war ein deprimierend morbider Gedanke.
Na ja, ein wenig Hilfe konnte nicht schaden. Katzen können eigentlich nicht grinsen, ihre Gesichtsstruktur ist dafür nicht geschaffen, doch als ich damit aufhörte, ihn abschütteln zu wollen, drückte Bobby seinen Triumph mit den Augenwinkeln aus. Ich hatte ihn dem Tod aus den Klauen gerissen, also konnten wir genauso gut bei dem Versuch untergehen, den Einzelgänger zu finden. So oder so waren wir Dämonenfutter. Nathanial ebenfalls,
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