Kuss der Ewigkeit
entfernt unvermittelt stehen, gut außerhalb meiner Reichweite.
Ich war mir nicht sicher, ob ich darüber geschmeichelt oder wütend sein sollte. Niemand hatte sich bisher vor mir gefürchtet. Was glaubt sie denn, dass ich tun werde?
» Ihr könnt nicht gehen«, sagte sie mit gerötetem Gesicht. Sie war nicht so weit gelaufen, deshalb vermutete ich, dass das nicht von der Anstrengung kam.
Wer war sie denn, dass sie mir sagen wollte, was ich tun konnte und was nicht? Was das betraf, wer war sie überhaupt? Das war eine berechtigte Frage, deshalb wiederholte ich sie laut.
Sie fummelte an ihren überlangen Mantelärmeln herum. » Ich dachte, das hätten wir ziemlich ausführlich geklärt. Ich bin Gil.«
» Den Teil hab ich schon verstanden. Der Name sagt mir gar nichts.«
» Ich glaube«, warf Nathanial ein, » was Kita fragen will, ist, was bist du, und woher weißt du so viel über uns?«
Das war zwar, was ich gemeint hatte, aber ich ging dennoch auf ihn los. » Und warum folgst du mir eigentlich immer noch?«
» Ich habe dir doch geholfen, oder etwa nicht?« Er deutete auf Bobby.
» Und ich habe ihn davon abgehalten, dich zu zerfleischen. Ich würde sagen, wir sind quitt.«
Nathanial wirkte nicht beeindruckt. Natürlich hatte Bobby als Mensch nicht einen einzigen Treffer bei ihm landen können, obwohl Bobby gut zwei Köpfe größer als Nathanial war. Also jagte er ihm vermutlich als Luchs auch nicht besonders viel Angst ein. Aber dennoch…
» Unterschätze ihn nicht, nur weil Luchse klein sind«, sagte ich. » Ich habe gesehen, wie er einen ausgewachsenen Hirsch riss.«
Nathanial lächelte. » Ich bin kein Hirsch.«
Gil räusperte sich. » Du hattest mir eine Frage gestellt«, sagte sie voll Ungeduld.
Ich nickte, doch nun, da die Aufmerksamkeit aller wieder auf sie gerichtet war, hatte sie es überhaupt nicht eilig zu antworten.
Sie neigte den Kopf und musterte mich. » Bist du wirklich Kita von Firth?«
Ich nickte erneut, und sie machte eine wedelnde Handbewegung. Wie aus dem Nichts materialisierte sich eine Schriftrolle. Sie kritzelte etwas nieder und bemerkte hoffentlich mein Zusammenzucken nicht. Dies war ein netter Trick. Falls ich nach dem ganzen Vorfall mit dem violetten Lichtblitz noch irgendwelche Zweifel daran gehabt hätte, was sie war, dann war es nun glasklar– der Richter hatte den gleichen Trick angewendet.
Die Schriftrolle verschwand wieder, und sie blickte hoch. » Also gut. Ich bin eine Stipendiatin aus Sabin. Vor ein paar Tagen verkündete mein Schulleiter, dass eine mögliche Komplizin im Fall der Einzelgängermorde identifiziert wurde. Eine Gestaltwandlerin, die mit dem Richter einen Handel einging, den Einzelgänger zu finden, den sie geschaffen hatte. Sie würde ein ausgezeichnetes Studienobjekt abgeben. Er suchte nach einem Freiwilligen, und ich bekam die Aufgabe zugeteilt.« Sie lächelte und schob ihren altmodischen Hut zurück. » Für die Feldforschung bekomme ich Leistungspunkte.«
» Schön zu wissen, dass die Tatsache, dass mein Leben zerstört wird, für jemanden hilfreich ist.«
» Moment mal.« Nachdenklich trommelte Nathanial mit einem Finger unter seinem Auge. » Der Richter verschwand von hier keine fünf Minuten, bevor du ankamst. Wie konnte dein Schulleiter dir die Aufgabe bereits vor mehreren Tagen übertragen, es sei denn, er und der Richter wussten schon, bevor der Richter an Kita herantrat, dass er einen Handel mit ihr eingehen würde?«
» Nun, hier mögen es vielleicht nur fünf Minuten gewesen sein, aber wer sagt denn, dass die Zeit überall gleich fortschreitet?« Gil verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich seufzte. Genau. Das ergab genauso wenig Sinn wie alles andere, was heute Abend passiert war, also warum auch nicht? Ich sah auf die Straße hinaus. Sie verhieß Freiheit, wenn es mir nur gelänge, meine gegenwärtige Gesellschaft loszuwerden. Okay, vielleicht nicht vollständige Freiheit, da der Richter vorhatte, meine Todesstrafe in zwei Tagen zu vollstrecken. Natürlich musste er mich dazu erst einmal finden.
Ich wandte mich wieder um und musterte Gil. Wo zum Teufel war » Sabin«, und was genau war eine Stipendiatin? Mit geblähten Nasenflügeln suchte ich nach einer Witterung, die mir ihre wahre Natur verraten würde. Falls ich noch mehr von diesen Sabinern über den Weg laufen sollte, wollte ich sie erkennen können, bevor sie anfingen, ihre Magie bei mir anzuwenden. Die Dämonen hatten nach Fäulnis gerochen, ein Geruch, der leicht
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