Kuss der Ewigkeit

gefallen war. Sie hätte die Party schon früher verlassen haben können, ich hätte es nicht bemerkt. Hatte ich sie zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in jener Nacht noch einmal gesehen? Ich hatte die ganze Party nur verschwommen in Erinnerung, ganz besonders meine verrückte Flucht vor Bryant, nachdem ich unter Drogen gesetzt worden war. Schließlich schüttelte ich den Kopf. » Das letzte Mal, dass ich sie mit Sicherheit gesehen habe, war ungefähr um zwei Uhr morgens. Als ich den Klub um fünf verließ, könnte sie überall mit jedem gewesen sein.«
    Gil zog ihre Schriftrolle hervor und überflog ihre Notizen. » Der Einfachheit halber nehmen wir einmal an, dass sie, wann immer sie den Klub auch verließ, also irgendwann nach zwei Uhr morgens, mit dem Einzelgänger zusammen war. Nach den Nachrichtenberichten über ihren Fall zu urteilen wurde sie von der Polizei erst etwa zwölf Stunden später gefunden, am frühen Nachmittag. Glaubt ihr, sie könnte ihre Verletzungen zwölf Stunden lang überlebt haben, wenn der Einzelgänger sie unmittelbar, nachdem sie den Rave verlassen hatte, beinahe halbtot prügelte?«
    Nathanial und ich wechselten einen Blick, dann schüttelte ich den Kopf. Nathanial tat es mir gleich und verzog dabei das Gesicht. » Dann wurde sie später gefoltert«, sagte er. » Die Party steht damit vielleicht nicht im Zusammenhang. Sie könnte überall hingegangen sein, nachdem sie den Klub verließ.«
    Ich rieb mir die Augenlider, die außerordentlich schwer wurden. » Das letzte Mal, als ich sie sah, konnte sie kaum aufrecht sitzen. Sie hat den Klub nicht ohne Hilfe verlassen. Entweder hat sie der Einzelgänger mitgenommen, oder jemand hat sie irgendwo abgesetzt, wo der Einzelgänger sie finden konnte.« Wenn sich ein Gestaltwandler auf der Party befunden hatte, hätte ich ihn doch sicher bemerkt. Natürlich war ich dort gewesen, um meinen eigenen Geruch zu verbergen, deshalb wäre es leicht gewesen, den von jemand anders nicht zu bemerken. » Ich unterhielt mich mit jemandem, der mir erzählte, dass er vor mehreren Monaten auf einer Party war, auf der irgendein Typ ausflippte. Sagte, dass man es für eine Massenhalluzination hielt, weil alle ein Monster sahen. Wenn es wirklich ein Angriff eines gefährlichen Einzelgängers war, dann könnten die beiden Vorfälle miteinander zusammenhängen.«
    Nathanial schüttelte den Kopf. » Vergewaltigung und Folter eines Mädchens sind etwas anderes, als eine Menschenmenge anzugreifen. Es ist unwahrscheinlich, dass es zwischen diesen beiden Fällen eine Verbindung gibt«, meinte er. » Was wir wirklich herausfinden müssen ist, warum und wie er sich seine Opfer aussucht.«
    » Einzelgänger sind wahnsinnig«, sagte ich. » Es könnte dieselbe Person sein.«
    Bobby nickte.
    » Du solltest nichts verallgemeinern, wovon wir keinen Beweis haben«, warf Nathanial ein. » Wirst du nicht selbst auch als Einzelgänger betrachtet, Kita?«
    Ich erstarrte. » Ich mag zwar meinen Clan verlassen haben, aber ich wurde nicht zum Einzelgänger. Ich habe mich nicht von allem abgewandt, woran wir glauben. Ich habe meine Menschlichkeit nicht aufgegeben oder meine Katze korrumpiert. Ich bin ein Streuner, eine Flüchtige. Kein Einzelgänger.«
    Bobby sträubte sich wütend. » Du bist weder das eine noch das andere«, sagte er, dann sah er Nathanial an. » Sie ist Dyre, der zukünftige Torin des Nekai-Clans. Du wirst sie nicht beleidigen!« Seine Stimme war ein heiseres Flüstern, doch die Hitze darin reichte aus, um sich in meine Haut zu brennen.
    Ich holte tief Luft und kämpfte darum, mich nicht von Bobbys Wut anstecken zu lassen– meine Empörung allein war schon genug. Natürlich war Nathanial noch nie jemandem meiner Art begegnet, deshalb konnte ihm unmöglich bewusst sein, wie schwerwiegend seine Beleidigung war. Einzelgänger waren wahnsinnig. Immer. Einzelgänger war der Begriff, mit dem wir einen Gestaltwandler bezeichneten, der seinen Verstand verloren hatte und Dinge tat, wie… oh, Leute anzugreifen, zu foltern und zu töten. Am meisten kam es bei gezeichneten Gestaltwandlern vor, jenen Shiftern, die als vollwertiger Mensch oder vollwertiges Tier geboren worden waren, jedoch nach einer Begegnung mit einem Gestaltwandler in Zwischengestalt die Fähigkeit erlangt hatten, die Gestalt zu wechseln. Gezeichnete Shifter neigten dazu, daran zu zerbrechen, wenn sie sich nicht damit abfinden konnten, was ihnen zugestoßen war, und das machte sie zu gefährlichen Einzelgängern.