Kuss der Sünde (German Edition)
noch Juliette bremsen. Sie keiften einander an und wurden immer lauter. Viviane wurde es zu viel. Sie schlüpfte aus dem Saal, raffte ihre Röcke und hastete davon. Sollte Monsieur Duprey allein damit fertig werden, schlie ß lich wurde er dafür bezahlt, jungen Mädchen Benehmen beizubringen.
Über die Jahre in seinem Haus hatte Ninon gelernt, auf alles vorbereitet zu sein. Darauf, dass sie eines Tages seinen Leichnam zu ihr brachten. Darauf, schwere Wunden zu verbinden und zur Not eine Kugel entfernen zu können. Vor allem aber, ihn stets mit einer schmackhaften Mahlzeit und einem heißen Bad zu empfangen. Jeden Abend, ob Olivier nach Hause zurückkehrte oder fernblieb. Ebenso hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, ihn auf der zwe i ten Treppenstufe zu begrüßen, denn dann war sie mit ihm auf Augenhöhe. Sobald sie den Schlüssel im Schloss hörte, eilte sie aus der Küche und nahm Position ein.
„Willkommen zu Ha use, Olivier .“
Er drängte die Hunde zurück, die an seinen Beinen vorbei ins Haus schlü p fen wollten, drückte die Tür zu und nahm den Dreispitz ab. Ein Kuss streifte ihre Wange.
„Hm, du riechst nach frischem Brot“, stellte er fest und nahm die Treppe nach oben. „Ich habe Hunger, aber zuerst brauche ich ein Bad.“
„Es ist alles bereit.“
Noch auf den Stufen zog er Gehrock, Weste und Hemd aus. Ninon folgte ihm und sammelte die Kleidungsstücke auf. Im Zuber dampfte heißes Wasser. An das Fenster hatte sie eine Vase mit den ersten Rosen gestellt. Die Knospen nickten in einer abendlichen Brise. Goldgelber Kerzenschein fiel auf die kle i nen Kristallfiguren auf dem Kaminsims, das breite Bett, die Nussbaummöbel und schimmerte für einen Lidschlag auf seinen Fingern. Sie hatte es schon oft bemerkt, doch nie eine Frage gestellt. Auch die Finger seines Vaters hatten hin und wieder dieses ungewöhnliche Leuchten gezeigt. Oder womöglich lediglich eine Illusion von einem Leuchten, denn sobald sie ganz genau hinsah, ve r schwand es.
Seine Stiefel polterten zu Boden, gefolgt von flatternden Strümpfen. Ung e niert löste er die Schnüre seiner Hose, zog sie aus und stieg in den Zuber. Sie füllte zwei Gläser mit gekühltem Rheinwein, reichte ihm eines und setzte sich zu ihm auf einen Holzschemel. Dabei suchte sie unauffällig nach Schrammen, Blutergüssen und kleinen Wunden auf seiner Haut. Nichts. Erleichtert seufzte sie und trank einen Schluck. Er prostete ihr zu und sank tiefer in das heiße Wasser.
„Genau das habe ich gebraucht“, sagte er und lehnte den Kopf an den Rand des Zubers.
„Wenn du dich häufiger daran erinnern würdest, wo du wohnst, könntest du es häufiger genießen, mein Lieber.“
Wie immer bemühte sie sich um einen scherzhaften Tonfall, und wie immer hörte er ihre Sorge heraus.
„Adrienne fragt nach dir. Du solltest sie besuchen. Das würde dich able n ken. Sie und ihre Mädchen würden sich freuen.“
„Wahrscheinlich hoffen sie alle nur auf Klagen über meine alten Knochen und wollen meinen Platz einnehmen.“
Ein tiefes Lachen rollte aus seinem Brustkorb. „ F alls eine von ihnen mit deinen Kochkünsten aufwarten kann, wäre ich vielleicht versucht.“
Sacht schlug sie ihm auf die Schulter und wurde mit einem breiten Grinsen bedacht. Es konnte nicht über seine Müdigkeit hinwegtäuschen. Schatten lagen unter seinen Augen, tiefe Fältchen hatten sich in seine Mundwinkel gegraben. Ihre Angst um ihn wurde von Jahr zu Jahr größer. Entweder schlug er sich die Nächte mit seinen Fälschungen um die Ohren oder bei Adrienne. Er schlief zu wenig und trank zu viel. Eines Tages wurden seine Füße von dem dünnen Seil gleiten, auf dem er balancierte, und es würde kein Netz g e ben, das seinen Sturz auffing. Für Männer wie ihn gab es keine Sicherheit.
„Du grübelst schon wieder, Ninon“, sagte er und nahm Schwamm und Seife auf.
„Ich habe guten Grund dazu.“
Kurz wurden die Fältchen an den Mundwinkeln tiefer, ehe er sich entspan n te und seinen Brustkorb einseifte. Ihr Herz zog sich zusammen. Für sie würde er stets der Junge bleiben, der sich in den Garderoben des Theaters heru m drückte und schüchtern die Mädchen und ihre bestrumpften Beine betrachtet hatte. Jetzt war er ein Mann, frei von Zwängen und Scheu. Gelegentlich zu frei. Fragen, wo er die vergangenen Tage und Nächte verbracht hatte, bran n ten auf ihrer Zunge, doch sie schluckte sie h in unter . Er kam so selten, und sie wollte ihn nicht vergraulen. Dieses Haus war
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