Kuss der Sünde (German Edition)
und das sie auch nicht sehen wollte. Ihr Herz stockte und raste ohne jeden erkennbaren Rhythmus weiter. Die Ohnmacht, die sie nur vorgetäuscht hatte, rollte auf sie zu. Ein weiteres, absolut normales Geräusch drang an ihr Ohr. Ein Gluckern, als würde ein Glas gefüllt. Sie wappnete sich gegen das Schlimmste und zuckte heftig zusammen, als ein kühles, feuchtes Tuch auf ihrer pochenden Wange landete.
„Ich weiß, dass Sie bei Bewusstsein sind. Es ist unnötig und wenig hilfreich, mir weiterhin etwas vorzumachen.“
Sein schrecklicher Sarkasmus zwang sie, die Augen zu öffnen. Sie erwartete die zerschlagene Visage eines Halunken, in die sich die Zeichen eines verderbten Lebenswandels auf alle Ewigkeit eingegraben hatten. Stattdessen begegnete sie einem markanten Gesicht. So attraktiv sie es bisher gefunden hatte, versetzte es ihr jetzt einen Schock. Unfähig, sich zu rühren, blickte sie in ein Paar dunkelgraue, gewittrig wirkende Augen.
„Sie erinnern sich an mich. Gut“, bemerkte er im Plauderton und bot ihr ein Glas an. Es war bis oben hin mit Wein gefüllt, der nahezu schwarz in einer Fassung aus dünnem Kristall schimmerte. „Trinken Sie. Es lindert die Schmerzen.“
Die er verursacht hatte. Seine aufgesetzte Fürsorge erinnerte sie an ihren Zorn. Glühend rot brodelte er in ihr auf. Abrupt schnellte sie in die Gerade und schlug nach dem Glas in seiner Hand. Seine Reaktion war schnell. Er brachte es außer Reichweite, ehe sie es treffen konnte. Wein schwappte über den Rand und seine Finger.
„Was wollen Sie von mir?“
In ihrer Stimme schwang nicht die beabsichtigte Schärfe, sondern helle Panik. Zudem führte ihre ruckartige Bewegung zu einem unerträglichen Hämmern in ihrem Kopf. Das Zimmer drehte sich und stand wieder still. Es war ein Raum mit solidem Mobiliar, wie sie es bei der Bürgerschicht vermutete. Auf dem Kaminsims sammelten sich kleine Kristallfiguren, in deren Schliff sich das Kerzenlicht brach. Zwischen ihnen tickte eine goldene Uhr.
„Da Sie sich den Kopf gestoßen haben, sollten Sie zu schnelle Bewegung vermeiden, Mademoiselle“, riet er gelassen.
Sie umfasste ihren Kopf. Die Schläge hinter ihrer Stirn trübten ihr Sehfeld. Wieder bot er ihr das Glas an und hielt es ihr diesmal unter die Nase.
„Trinken Sie das. Es wird Ihnen bald besser gehen, und anschließend können wir unsere Eindrücke darüber austauschen, was wir voneinander wollen und welches Interesse wir teilen.“
Soweit es sie betraf, konnte es keine gemeinsamen Interessen geben. Sie hatte ihn längst durchschaut. Er war der Erpresser, derjenige, der das Kollier gestohlen hatte. Vor ihr stand der Mann, dessen Raubgier den Ruf der Königin gefährdete. All dies verschwieg sie. Seine Augen waren heller geworden und durchbohrten sie. Sie nahm das Glas aus seiner Hand und trank. Der Wein schmeckte süß und schwer.
„Ich will nichts von Ihnen, Monsieur“, stellte sie klar, nachdem sie ausgetrunken hatte. „Sie sind ein Lump und Betrüger. Ein verwerflicher Mensch durch und durch. Ein verkommener Dieb, der sich geschmacklose Freiheiten herausnimmt. Sie sind …“
„Da Sie so unglaublich viel über mich wissen, kommen wir lieber ohne Umschweife auf die eigentliche Frage, Mademoiselle. Wer sind Sie?“
Seine Impertinenz brachte sie aus dem Konzept, was auch an den Kopfschmerzen lag. Wie hatte sie ihn jemals für charmant halten können?
Er setzte sich in einen Stuhl und wagte es, sie anzugrinsen. Impulsiv warf sie das leere Weinglas nach ihm. Es schoss knapp an seinem Kopf vorbei und zerschellte am Kaminsims.
„Das war Glasbläserarbeit aus Murano“, ließ er sie wissen.
„Oh, Sie unmöglicher …“
„Für den Anfang haben wir genug über mich gesprochen. Immerhin, Ihre Schmerzen scheinen nachzulassen. Es geht Ihnen besser, nicht wahr? Vielleicht sind Sie ein wenig müde? Entspannen Sie sich.“
Seine Stimme war einlullend und weich wie Samt. Viviane vermutete dahinter eine weitere Teufelei, und sank trotzdem zurück in die weichen Kissen. Der Schmerz verflog, als hätte sich ein Balsam darüber gelegt. Tatsächlich war sie müde. So müde, dass alles um sie herum zu einem zähen Sirup zerfloss. „Ich werde Ihnen nichts erzählen.“ Ihre Antwort kam von weit her. Jede Silbe rollte schwerfällig über ihre Zunge und verhallte irgendwo in weiter Ferne. Auf keinen Fall würde sie irgendetwas preisgeben. Momentan wusste sie auch nicht, was sie preiszugeben hatte. Es war ihr entfallen, und sie schürfte
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