Kuss des Apollo
könnte ich ja in dein Zimmer kommen. Vielleicht stört ihn das nicht.«
»Geri!« Er zog sie fest an sich, küsste sie.
Sie erwiderte den Kuss, dann wandte sie den Kopf und blickte über das weite grüne Kartoffelfeld.
»Weißt du«, sagte sie dann langsam, »mir ist eben noch etwas eingefallen. Angenommen, sie nimmt den Revolver, sie schießt auf den Psychiater, aber sie tötet ihn nicht, sie verletzt ihn nur.«
Er ließ sie abrupt los.
»Ist dir das eingefallen, während wir uns küssten?«
»Nein, vorher schon. Untergründig arbeitet es in mir weiter, verstehst du. Man muss die Aphrodite vergessen und auch den Shaw. Man muss was Neues machen.«
»Komm jetzt! Lass uns schlafen. Heute denken wir nicht mehr darüber nach. Das heißt, du denkst nicht mehr darüber nach.«
Sie dachte ganz etwas anderes.
Sie dachte: Wenn ich wieder mit Sebastian schlafe, dann wird er nie wieder kommen. Das weiß ich. Ich werde nicht mehr schön sein, ich werde nicht mehr jung sein und auch nicht mehr begabt. Ich werde die dumme Geri sein, die ich früher war. Also darf ich nicht mit Sebastian schlafen. Also muss ich weglaufen.
Sie starrte über das Kartoffelfeld.
Angenommen, er käme jetzt über das Feld. Zu ihr. Aber niemand kam.
Nur ein später Radfahrer klingelte hinter ihnen.
Frau Holm hatte sich schon zurückgezogen, aus ihrem Schlafzimmer erklang leise Musik, Mozart. Geraldine wusste, dass sie gern noch das Radio spielen ließ, wenn sie im Bett lag. Und heute sollte es wohl ein deutliches Zeichen sein, dass sie nicht gestört werden wollte und auch nicht mehr stören würde.
Geraldine lächelte.
Es gibt auch für mich keinen Ausweg mehr, dachte sie.
Und ein wenig neugierig war sie nun auch, was sie heute, so viele Jahre später, in Sebastians Armen empfinden würde.
»Viel abzuschminken gibt es glücklicherweise hier nicht«, sagte sie leichthin, als sie in der Diele standen. »Ich komme in einer Viertelstunde und gebe dir einen Gutenachtkuss. Falls du dann schon eingeschlafen bist, macht es auch nichts.«
»Du nimmst mich nicht ernst«, sagte er vorwurfsvoll. »Du hast dich sehr verändert.«
»Das ist der Lauf der Zeit. Und einschlafen kann man hier sehr schnell, das wirst du merken. Die gute Seeluft macht müde.«
Sie holte in der Küche die Knabberchen, wie sie es nannte, die Nelson vor dem Einschlafen bekam. Dann ging sie in ihr Zimmer, zog sich aus, kämmte ihr Haar und summte leise vor sich hin.
Erregt war sie in keiner Weise. Genau genommen war ihr Sebastian gleichgültig.
Sie sah sich nachdenklich in die Augen, betrachtete lange ihr Spiegelbild.
So ging es nicht. Wenn sie mit ihm einen neuen Film machen wollte, musste eine neue Spannung entstehen. Wenn sie nach ihrem Gefühl handelte, würde eine gemeinsame Arbeit nicht gelingen.
Dann dachte sie an Frobenius. Was würde er empfinden, wenn er erfuhr, dass sie wieder mit Sebastian schlief?
Er darf es nie erfahren, dachte sie.
Was Unsinn war, denn er würde schließlich die Produktion des Films übernehmen, und Sebastian würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass jeder begriff, wie es zwischen ihm und Geri wieder stand.
Es geht nicht. Ich darf es nicht tun. Oder wir suchen uns eine andere Produktionsfirma. Das ist erst recht eine Gemeinheit. Und Alexander? Was mache ich mit Alexander? Und Burckhardt. Wenn er wirklich den Anwalt spielen würde? Wenn der Psychiater nur leicht verletzt war, dann konnte sie mit einer kurzen Strafe davonkommen, und einem Happy End mit Burckhardt stand nichts im Weg. Aber wenn nicht?
Die Gedanken rasten in ihrem Kopf. Das Summen war ihr vergangen, das Lächeln auch, das Gesicht im Spiegel war voller Entsetzen. Sie strich sich mit beiden Händen das Haar zurück, starrte in das Gesicht im Spiegel.
Die Haare sind viel zu lang geworden. Ich müsste mal zum Friseur gehen.
Dann wandte sie sich entschlossen um, ging hinaus auf die Diele, strich Nelson leicht über den Kopf, bemühte sich nicht einmal, leise zu sein, Frau Holm wusste sowieso Bescheid und ging in Sebastians Zimmer.
Er lag nicht im Bett, er stand am Fenster und blickte hinaus in den dunklen Garten. Denn dunkel war es inzwischen doch geworden.
»Entschuldige«, sagte sie, »es hat etwas länger gedauert. Ein wunderbarer Sternenhimmel, hast du gesehen?«
Er riss sie in die Arme, schüttelte sie wütend.
»Du benimmst dich unmöglich.«
»Wieso? Ich bin doch da.«
»Liebst du mich denn gar nicht mehr?«
»Sprich nicht von Liebe. Wir drehen hier keine
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