Kuss des Apollo
im Fernsehen gab es die
Fledermaus
, was sie bestens unterhielt.
Zwar lagen Einladungen vor, von Klose, von Frobenius und von einigen Kollegen von Thomas, die gern seine Tochter kennen lernen wollten.
Doch sie hatten beschlossen, zu Hause zu bleiben.
Der Film war noch nicht angelaufen, und die Zweifel, wie er ankommen würde, belastete sie beide.
Burckhardt fällt ihr ein, er rief an, am Nachmittag, später in der Nacht.
Er verbrachte die Feiertage mit seiner Familie am Tegernsee. Sein Stück in München lief noch, doch er war nicht sehr glücklich damit.
Er hatte sie nach München eingeladen. »Ich würde mich dir gern einmal auf der Bühne präsentieren. Obwohl, es ist eine blöde Inszenierung. Aber ich könnte dich der Intendanz vorstellen. Man ist sehr neugierig auf dich.«
»Das kannst du doch nicht im Ernst behaupten. Überall ist jetzt zu lesen, was für eine Niete ich am Theater war.«
Er rief oft an, fast jeden Tag.
Immer sagte er: Ich liebe dich.
Und einmal auch: Ich werde meiner Frau sagen, dass ich mich scheiden lassen will.
»Als Weihnachtsgeschenk?«, fragte sie kühl zurück. »Und warum willst du dich scheiden lassen? Meinetwegen?«
»Für wen sonst? Ich liebe dich.«
»Die Scheidung kannst du dir sparen. Kostet sicher viel Geld. Ich heirate dich bestimmt nicht.«
»Bin ich dir zu alt? Ist es wieder Klose?«
»Es ist weder Klose noch sonst jemand. Ich will nicht heiraten.«
Nach dem Gespräch hatte sie sich geärgert, dass sie nicht einfach geschwindelt hatte: Ja, es ist wieder Klose. Oder sonst jemand.
In den Wochen nach ihrer Reise war sie glücklich gewesen.
Glücklich, ja. Das denkt sie in dieser Nacht. Als wir zusammen waren, habe ich sehr gut geschlafen.
Sie weiß noch, wie er sie im Arm hielt, welche Worte er zu ihr sprach. Seine Zärtlichkeit, seine Leidenschaft. Seine Hände, die sie berührten, seine Augen, die sie ansahen. Der Zauber begann während des Films, er hatte sie fortgetragen nach Italien.
Daraus kann man keine Ehe machen, daraus will sie keine Ehe machen, schon gar nicht, wenn eine Scheidung die Voraussetzung ist. Sie will keine Bindung an einen Mann. Sie will überhaupt keine Bindung, doch sie kann auch keinen Entschluss fassen, was sie wirklich will.
Eine lahme Ente, die feige ist. Das denkt sie. Sie denkt immerzu dasselbe. Ich bin feige. Ich bin ein Nichts und ein Niemand. Ich kann mich selbst nicht ausstehen.
Sie hat seine Frau auf der Premierenfeier in Berlin kennen gelernt.
Sabine Burckhardt ist eine hübsche Frau.
Was ahnte sie? Was wusste sie?
Auch das spukt Geraldine im Kopf herum, mitten in der Nacht.
Natürlich weiß Sabine Burckhardt Bescheid. So dumm ist keine Frau, dass sie nicht spürt, was mit ihrem Mann geschehen ist. Und es ist beunruhigend, dass er plötzlich schweigt. Ist es ihm ernst gewesen mit der Scheidung? Oder hat er sich mit seiner Frau ausgesprochen, und haben sie sich versöhnt? Oder haben sie sich getrennt? Es verunsichert sie, dass sie gar nichts mehr von ihm hört. Während der Reise hat sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht. Die Reise gehörte noch zu dem Film, das war es wohl.
Nun ist viel Zeit vergangen, der Film ist angelaufen, er ist erfolgreich, man erwartet von ihr, dass sie neue Pläne hat, dass sie einen Vertrag machen wird, und ihr Geschwätz, dass sie lieber Theater spielen möchte, ist kindisch. Ein Film soll es sein, wird es sein, und diesmal wird es ein Reinfall werden.
Sie wirft sich im Bett herum und stöhnt. Kann sie denn nicht an etwas anderes denken?
Bronski hat recht, sie ist feige. Sie hat Angst vor allem, was kommen wird. Am liebsten würde sie mit diesem Film im Nichts verschwinden …
Und dann ist sie mit ihren Gedanken da angelangt, wo sie fast jeden Abend landet.
Sie sieht ihn vor sich. Alles wäre gut, wenn er da wäre, wenn er sie ansähe, wie er sie an jenem Tag angesehen hat.
Du wirst die Alkmene spielen. Du bist schön, und du hast die richtige Melodie für die Sprache.
Melodie hatte er gesagt. Sie hatten zuvor kein Wort miteinander gesprochen.
Dann die Hand, sein Körper, der Kuss.
Der Kuss des Apollo.
Sie wird nie wieder davon sprechen. Man würde sie für verrückt erklären.
Vielleicht bin ich es auch. Das denkt sie noch. Dann schläft sie endlich ein.
Eine Einladung aus dem Hause Frobenius
Am nächsten Abend ging sie mit Bronski und ihrem Vater zum Essen, sie zog das schwarze Kleid mit dem asymmetrischen roten Muster an, das Burckhardt ihr auf der Merceria in Venedig
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