Kuss des Apollo
»Wozu? Wegen der zwei Teller?«
Kurz darauf kam sie in die Küche, aß auch artig die Sülze mit den Bratkartoffeln.
Und trank auch das Glas Bier, das er ihr anbot.
Dann gingen sie zurück ins Wohnzimmer, er stellte den Fernseher an. Sie sprachen an diesem Abend nicht mehr viel, ein paar Worte über die Sendung, die sie sahen, dann wünschte sie eine Gute Nacht und ging schlafen.
Nachtgedanken
Schlafen. Das ist auch so ein Problem. Sie kann so schwer einschlafen. Schon als Kind konnte sie immer lange nicht einschlafen, aber das war nicht quälend. Sie träumte vor sich hin, dachte sich Geschichten aus. Damit kann sie sich jetzt nicht trösten, sie grübelt, zweifelt, verzagt immer mehr, je länger die Nacht wird. Sie hat sich angewöhnt, Tabletten zu nehmen, harmlose Schlaftabletten, die oft gar nichts bewirken. Und sie hat wieder begonnen zu trinken.
Genau wie damals, als Sebastian sie verlassen hatte und das Engagement im Ruhrgebiet nicht verlängert wurde. Es gibt eine Frage, die sie ständig beschäftigt: Wie wäre es, wieder auf der Bühne zu stehen? In einer richtig großen Rolle. Sie weiß jetzt schon, dass sie vor Angst kein Wort herausbrächte. Wie eine lahme Ente sei sie bei ihm untergekrochen, hat ihr Vater es heute genannt. Und jetzt sei sie genau so wie damals. So etwas hat er noch nie gesagt.
Und Bronski nennt sie feige.
Wie recht sie haben!
Sie dreht sich im Bett um, von der rechten auf die linke Seite, und liegt lange auf dem Bauch. An Schlaf ist nicht zu denken. Am liebsten würde sie aufstehen, ins Wohnzimmer gehen, den Fernseher einschalten, das Programm ist in der Nacht meist am besten. Und noch einen Whisky trinken. Dann kann sie später schlafen. Wenn sie aufsteht, wird er es hören, wird kommen und nachschauen. Er macht sich Sorgen.
Ich kann mir eine Wohnung mieten, eine kleine Wohnung für mich allein. Dann ist er auch allein, aber ich glaube, er ist froh, dass ich da bin, lahme Ente oder nicht.
Also nehmen wir zusammen eine größere Wohnung. Was würde das ändern? Gar nichts.
Sie erinnert sich an Tillas Besuch zwischen Weihnachten und Silvester.
»Ich muss doch meine berühmte Tochter mal betrachten«, hatte sie gesagt.
Da war der Film noch nicht angelaufen, aber es hatte genügend Vorberichte gegeben, mit Bildern von der schönen Geraldine Bansa.
Das Verhältnis zwischen den dreien war entspannt, man unterhielt sich ganz zwanglos. Geraldine erzählte von den Dreharbeiten, von Griechenland, kein Wort über Burckhardt.
Das allerdings wusste Tilla.
»Ich habe gehört, du hast eine Affäre mit ihm.«
Und Geraldine, ganz gleichmütig: »Ja, ich habe auch davon gehört.«
Tilla sah sehr gut aus, sie wohnte im Hotel während ihres Besuches in Berlin, und sie erzählte von ihrem Leben, mit dem sie sehr zufrieden war.
Tanja Ewers hatte nach dem Erfolg ihres Buches ein Haus in Bogenhausen gekauft, sie hatte auch wieder ein Atelier und Mitarbeiter, doch sie arbeitete weniger als früher, sie war nun Mitte siebzig und manchmal ein wenig müde. Einer von Tanjas Söhnen lebte in München, der andere in Amerika.
Daran denkt Geraldine in diesen Nachtstunden. Tilla ist für sie eine Fremde, sie ist keine Mutter für sie, war es nie.
Sie begleiteten sie nach Tegel, nahmen freundlich Abschied, fuhren mit dem Taxi zurück in die Stadt.
»Komisch, nicht? Dass wir kein Auto haben.«
»Warum?«, fragte Thomas.
»Alle Leute haben heute ein Auto.«
»Das langt ja. Wir fahren mit dem Taxi viel angenehmer. Und billiger. Erst muss man ein Auto kaufen, dann muss es gepflegt und untergebracht werden. Dann kostet es Steuern und was weiß ich sonst noch. Ein Taxi ist viel preiswerter.«
»Ich habe nie Autofahren gelernt. Du?«
»Doch, ich habe damals in Coburg Fahrstunden genommen und auch den Führerschein gemacht. Dann tingelten wir mit der Truppe, da brauchte ich kein Auto. Und in Berlin brauche ich es schon gar nicht. Möchtest du gern ein Auto?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich finde Taxifahren auch angenehmer.«
Der Taxifahrer, der ihr Gespräch mitbekommen hatte, sagte über die Schulter: »Det is richtig. Taxifahren is besser. Kommt wirklich billiger, wenn man zusammenrechnet, was so ’n Auto einen kostet.«
Sie kehrten zurück in die Schumannstraße, zufrieden, wieder allein zu sein.
Thomas sagte: »Es war ein Glücksfall in meinem Leben, dass sie Tanja kennen gelernt hat.«
»In ihrem Leben wohl auch«, sagte Geraldine.
»Da hast du recht.«
Silvester verbrachten sie allein,
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