Kuss des Apollo
ihnen, wenn man sie in Ruhe ließe. Gut, dass Will hier war, das hat uns die Sache leichter gemacht«, sagte Jana.
Und dann kam Alexander mit der überraschenden Mitteilung, dass er sich mit Geraldine verabredet hatte.
Trotz der Belehrung, die Jana vor einigen Tagen hatte einstecken müssen, reagierte sie aufbrausend: »Bist du verrückt geworden? Jetzt haben wir das heute so einigermaßen hingekriegt, und du veranstaltest so einen Blödsinn.«
»Bitte, was für einen Blödsinn? Warum soll ich mit dem Mädchen nicht mal spazieren gehen?«
»Das ist kein Mädchen, sondern eine erwachsene Frau. Eine erfolgreiche dazu. Sie wird kaum Lust haben, mit dir herumzubummeln.«
»Ich will mit ihr in den Grunewald fahren oder an die Havelseen. Ich glaube, sie war in letzter Zeit kaum mal an der frischen Luft. Jedenfalls nicht seit Venedig. Und da ist die Luft lange nicht so gut wie im Grunewald.«
»Rede bloß nicht von dieser Reise. Davon wissen wir offiziell nichts.«
»Was für ein Affentheater!«
»Verdammt noch mal, Alexander!«
Frobenius stoppte Jana mit einer Handbewegung und stand auf. »Vielleicht hast du kapiert, dass es mit dieser Frau ein bisschen kompliziert ist. Mir kommt es vor allem darauf an, sie für meine Pläne, das heißt für eine neue Arbeit, zu gewinnen, denn zu lange darf man nach einem Erfolg das Publikum nicht warten lassen.«
»Das hatten wir ja heute Abend ausführlich. Und ich habe das kapiert. Und gerade darum dachte ich, es wird ihr gut tun, mal mit einem jungen Mann umzugehen, der keinen Film, keine Fernsehsendung mit ihr machen will, bloß mal ein Gespräch bieten will und vielleicht einen kleinen Flirt. Das braucht sie doch auch. Offenbar hat sie ja doch nur mit älteren Männern Umgang. Entschuldigung.«
»Sie ist nicht der Typ für einen kleinen Flirt«, mischte sich Jana wieder ein. »Anscheinend bist du zu jung, um das zu wissen. Sie hat die Affäre mit Klose damals sehr ernst genommen und hat lange gelitten, als es vorbei war.«
»Wie wär’s denn, wenn wir mal eine Runde schlafen gehen, es ist halb zwei«, sagte Alexander friedlich. »Ich werde sie weder entführen noch verführen. Nur mal spazieren gehen, über den Wald und die Bäume reden und in die Havel gucken. Ich erzähle euch dann, wie es war.«
Jetzt, in der S-Bahn, dachte Alexander an dieses Gespräch und schmunzelte vor sich hin. Ein Getue wegen diesem Klose. Eine alte Liebesgeschichte; vielleicht hatte sie es damals schwer genommen, weil sie noch sehr jung war. Jetzt hatte sie einen Film mit ihm gedreht, war über mehrere Wochen mit ihm zusammen gewesen und hatte es offenbar überlebt. Von Italien hätte er allerdings nicht sprechen sollen, das war eine Indiskretion gewesen.
Als der Platz ihr gegenüber frei wurde, setzte er sich und lächelte sie freundlich an.
»Es ist so eigenartig mit Berlin«, sagte er. »Als ich geboren wurde, gab es die Mauer schon. Ich bin in der geteilten Stadt aufgewachsen, mein Bruder natürlich auch. Und alles, was früher war, die Nazis, der Krieg, die Zerstörung der Stadt, kennen wir nur aus den Berichten der Älteren. Die Sowjets auf der einen Seite, die Amis, die Franzosen und die Briten auf der anderen Seite, dann die Blockade, die ja wirklich schlimm gewesen sein muss. Man lernt das, man bekommt es erzählt, aber ich muss gestehen, mich hat das in meiner Jugend nicht bewegt. Sie doch auch nicht, Geraldine.«
»Nein, als ich geboren wurde, gab es die Mauer auch schon. Ich habe von meinem Vater viel davon gehört. Er ist ja kurz vor dem Mauerbau in den Westen geflohen wie so viele damals. Und er bedauert es heute noch, dass er sein Engagement in Meiningen aufgegeben hat. Dort hat es ihm gefallen, DDR hin oder her. Er hat die Rollen spielen können, von denen er geträumt hat. Und was dann war … na ja, das war nicht mehr so das Richtige.«
»Und wo sind Sie geboren, Geraldine?«
»Irgendwo unterwegs«, sagte sie leichthin. »Während einer Tournee.«
»Die verlorenen Kinder dieses Jahrhunderts«, sagte er. »Das ist seltsam, nicht? Jedenfalls in Deutschland. Ob wohl irgendjemand mal darüber schreiben wird?«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, sie lächelte nicht.
»Sie, Alexander, nehme ich an.«
»Warum nicht? Doch es ist fast schwieriger, als über das Leben von Shakespeare zu schreiben.«
Später, als sie durch den Wald gingen, kamen sie wieder auf dieses Thema zurück.
»Außer Ihrem Vater«, sagte Alexander, »hat keiner von uns den Mauerbau erlebt. Die Mauer
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