Kuss des Feuers
während sie sich vorbeugte. »Bist du unsterblich?«
Alle Luft schien aus dem Raum zu entweichen, als er zischend einatmete. Archer blickte sie entsetzt an. Das Schweigen zog sich in die Länge, und als er endlich sprach, klang seine Stimme belegt und rau. »Hat McKinnon dir das erzählt?«
Sie weigerte sich, den Blick abzuwenden. »Der Kammerdiener sagte, Sir Percival hätte die Münze seit 1814. Alle anderen Mitglieder sind auch alte Männer. Jetzt keine weiteren Ausflüchte, Archer. Stimmt es?«
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zu den großen Fenstern, durch die man auf die südliche Rasenfläche sah.
Die aufsteigenden Tränen schnürten ihr die Kehle zu und brannten in ihren Augen, aber sie würde sie nicht fließen lassen. »Ich dachte, ich könnte die Kluft hinnehmen, die durch unsere Geheimnisse erzeugt wird. Aber das gelingt mir nicht, wenn diese Kluft unser beider Leben bedroht. Was hier geschieht, ist zu wichtig, als dass wir noch Geheimnisse voreinander haben dürfen.« Das Herz tat ihr weh, als sie sah, wie seine Schultern sich unter der Wucht seiner unregelmäßigen Atemzüge bewegten. »Lass mich ein, Archer«, wisperte sie.
Langsam drehte er sich um und sah sie mit gequältem Blick an. »Miri …«
Und dann erkannte sie etwas in seinen Augen, bei dessen Anblick ihr eiskalt wurde. Plötzlich schien alles klar – seine Kraft, seine Schnelligkeit. Und noch andere, seltsamere Dinge.
Und wenn es nun stimmt, gibt es dann jemanden da draußen, der ihn verzehren will?
Der Magen drehte sich ihr um, als ihre Fantasie sie Bilder von einem aufgeschlitzten Archer sehen ließ, dessen Fleisch von einem unsichtbaren Monster verschlungen wurde. Sie presste die Hände gegen ihren Magen, um die aufsteigende Panik im Griff zu halten. »Es ist ein Albtraum«, flüsterte sie. Ihre tauben Finger waren ganz kalt.
Mit einem tiefen Atemzug richtete sich Archer auf. Ein seltsames Lächeln lag auf seinen Lippen. »Sieht das hier irgendwie nach Unsterblichkeit aus?« Lässig deutete er auf die Prellungen, die gelb und blau auf Kiefer und Wange schimmerten. »Oder die klaffende Wunde, die du selber zusammengeflickt hast?«
Der Spott, der in seiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören. Doch sie verzieh ihn ihm. Sie konnte es ja selber kaum begreifen.
Als er zielstrebig auf sie zukam, wappnete sie sich. »Komm.« Er griff nach ihrem Arm. »Du magst Geschichten? Ich habe eine tolle Geschichte für dich.«
Sie marschierten durchs Haus, und ihre Röcke raschelten laut, während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Sie wurden erst langsamer, als sie sich ein gutes Stück vom Haus entfernt hatten und zum Friedhof gingen.
Archer führte sie zu einer Reihe von verwitterten Grabsteinen, die nicht weit von jener Stelle entfernt waren, wo Johns gerade erst angelegte letzte Ruhestätte lag. »Benjamin Archer, der dritte Baron Archer von Umberslade, starb 1815«, sagte Archer und deutete auf das Grab, das den Namen seines Vorfahren trug. »Ich bin nicht dieser Mann.« Er holte einmal tief Luft, und sein Körper spannte sich an. »Sondern nur ein Narr, der die Zerstörung ignorierte und überlebte.«
Welke Blätter wirbelten um ihre Füße, während sie schweigend dastanden. An den Stellen, wo ihr Körper dem kalten Wind ausgesetzt war, bekam sie Gänsehaut.
Archer erwachte aus seiner Erstarrung. »Dir ist kalt.« Er berührte ihren Ellbogen.
»Ich glaube dir nicht.« Mirandas Worte flogen wie Peitschenspitzen durch die Luft, und er zuckte zusammen.
»Sie suchten nach einer Möglichkeit, den Tod zu überwinden«, stieß sie hervor. »Vielleicht ist dein Großvater gescheitert, Archer. Aber du bist hier … ein Mann, der durch irgendein Experiment entstellt wurde. Und das Schlimmste daran ist, dass du mir nichts davon erzählen willst.« Sie brachte Abstand zwischen sich und sein unerträgliches Schweigen. »Wenn du mich nicht mitmachen und helfen lässt, dann werde ich eben jemand anders finden, der mich in alles einweiht.«
Archer griff nach ihrem Handgelenk und riss sie mit einem solchen Ruck an sich, dass ihr Kopf nach hinten flog. »Meinst du etwa McKinnon?«
»Wenn es sein muss.«
»Nur über meine Leiche!«
Mit ihrer freien Hand schlug sie nach ihm. »Ich glaube, das will jemand anders auch, du Blödmann!«
Er fing ihren um sich schlagenden Arm ein, während er die andere Hand fest um ihre Taille legte. Als sie sich nicht mehr rührte, drückte er sie auf den Rücken und zog sie so eng an sich,
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