Kuss des Feuers
bereits an seiner Krawatte, während er sich dem obersten Stockwerk näherte.
Oben an der Treppe stürzte er durch die Tür und warf sie so kräftig hinter sich zu, dass sie in den Angeln bebte. Endlich allein. Er spürte bereits, wie seine innere Unruhe nachließ.
Sein Treibhaus. Ein kleines Juwel aus Glas, verborgen auf dem Dach des Hauses. Der Regen prasselte laut auf die Scheiben und strömte an ihnen hinunter, sodass sich nichts von der Welt draußen erkennen ließ. Hier oben war es angenehmer. Warm und feucht. Der Raum war mit eingetopften Obstbäumen und samtigen Rosen gefüllt, deren frischer Duft die Luft schwängerte.
Die Maske als Erstes. Er riss sie sich vom Kopf, zuerst den äußeren, dann den inneren Teil, sodass er zum ersten Mal seit Stunden wieder richtig tief Atem schöpfen konnte. Die feuchte Luft traf auf seine schweißnasse Haut, die daraufhin anfing zu zucken. Er fuhr sich mit den Fingern durch das flach gedrückte Haar, wobei er sich die Kopfhaut kratzte, um zu spüren, wie das Blut darunter floss. Die restliche Kleidung legte er genauso schnell ab. Dann trat er zu einem Wasserhahn, der hoch an der Wand angebracht war, und drehte ihn auf.
Himmel, war das Wasser kalt. Gut. Genau das brauchte er jetzt. Mit ihr in der Kutsche eingesperrt zu sein hatte die reinste Folter bedeutet. Archer schloss die Augen und ließ sich das Wasser über den Kopf und den erhitzten Oberkörper laufen. Sein Lohn war die Erinnerung an den Blick des verdammten Reverends, als dieser darauf wartete, dass er Miranda nach der Trauung küsste. Besaß der Mann überhaupt eine Vorstellung davon, wie sehr Archer sich genau das gewünscht hatte?
Und dann ihre Stimme. Sie hatte nicht mehr diesen hohen, mädchenhaft piepsigen Ton, sondern war jetzt warm und weich – wie Honig in der Sonne. Ein Beben ging durch Archers Körper. Diese Stimme verfolgte ihn schon seit drei Jahren. Seufzend holte er tief Luft, drehte den Wasserhahn zu und griff nach einem Handtuch.
Der Regen verlor sich langsam in einem leichten Nebel, während Archer zu einer breiten Bettstatt ging, die neben einer der Glaswände stand. Seufzend ließ er sich darauf niedersinken und schaute zu schweren Dolden pfirsichfarbener Rosen auf, die in voller Blüte standen. So hatte er ihr nicht gegenübertreten wollen … immer noch ein Sklave seiner Maske und mit dem aufbrausenden Gehabe eines arroganten Mistkerls, weil ihm zum ersten Mal seit Jahren seine Erscheinung wirklich unangenehm war. Was musste sie nur von ihm denken?
Er bedeckte die Augen mit seinem Unterarm. Und gütiger Himmel! Dann noch dieser Blödsinn, den er von sich gegeben hatte, dass er sie nur wollte, um einen Erben zu zeugen. Aber wie sollte das gehen, wenn er ihr noch nicht einmal zeigen konnte, wer er war? Was er war? Er hatte keinen blassen Schimmer gehabt, was er ihr antworten sollte, als sie ihn um eine Erklärung gebeten hatte. Die Wahrheit war zu lächerlich und so auch das Ausmaß seines Egoismus. Denn er wollte sie entgegen aller Logik, aller Vernunft. Obwohl er nie ganz mit ihr vereint sein könnte, brauchte er ihre Nähe. Und was jetzt? Ihre Nähe war ihm längst nicht genug.
Wie sollte er auf Dauer vor ihr verbergen, worum es ihm ging? Sein trostloses Lachen klang wie das eines Fremden. Unmöglich. Was er wollte, war unmöglich.
Nicht unmöglich. Von Hoffnung kann man durchaus sprechen.
Archer lächelte mit schmalen Lippen, als er die Stimme in seinem Kopf hörte. »Ach, Elizabeth. Wenn du es doch bloß wärst.«
Diesem Spiel gab er sich gern hin – mit ihr zu reden, als sei sie wirklich da. Manchmal fragte er sich, ob es wohl der endgültige Schritt in den Wahnsinn war, sich mit einer Erinnerung zu unterhalten. Oder das Einzige, das ihn vor dem Wahnsinn bewahrte.
Du verdienst es, glücklich zu sein, Benjamin.
Das war es, was er hören wollte. Aber stimmte es auch?
Ein Tautropfen lief über das samtige Blatt einer Rose. Einen Augenblick lang verharrte er am Rand und schimmerte wie ein Diamant, ehe er auf seine Schläfe fiel und wie ein sanfter Fingerstrich über seine Stirn rann. Er konnte sich nicht mehr an das letzte Mal erinnern, als ein Mensch ihn aus freien Stücken berührt hatte.
Das stimmte nicht. Miranda hatte ihn berührt. Sie hatte ihn berührt, als wäre er ein ganz normaler Mann. Seit damals hatte er von diesen Momenten gezehrt und die Erinnerung immer dann hervorgeholt, wenn ihn die Einsamkeit zu ersticken drohte. Er hatte ihr nicht so lange fernbleiben
Weitere Kostenlose Bücher