Kuss des Feuers
»Na gut, ich werde meine Schuldigkeit tun. Aber was passiert mit dem Rest?«
»Den sollen die Dienstboten bekommen.« Er sah sie leicht amüsiert an. »Beruhigt Sie das?«
»Das tut es.«
Die sämige Suppe mit vielen dicken Austern und goldenen Tropfen geschmolzener Butter schmeckte wie Himmel in Löffeln. Sie hätte fast gestöhnt, weil es so gut mundete, und zwang sich, langsam zu essen, während sie sich nur zu bewusst war, wie andächtig Lord Archer sie dabei beobachtete.
»Wein?« Er schenkte mit der Gewandtheit eines erfahrenen Dienstboten ein.
»Werden wir in Zukunft immer so speisen?« Einen derartigen Ablauf einer Mahlzeit hatte sie noch nie erlebt. Sie erinnerte zwar an ein Menü
à la fran
ç
aise
im kleinen Kreis, doch es wurde zwischendurch nicht abgeräumt. Das ganze Essen stand von Anfang an auf dem Tisch; auch eine große Platte mit Obst – voller samtiger Feigen, glänzender Birnen und knackiger Äpfel, die schon aufgeschnitten waren.
»Nein.« Ein Anflug von Erheiterung schwang in seiner Stimme mit, während er sie weiter beobachtete. »Nennen wir das …« – er deutete auf die Tafel – »eine kleine Eskapade von meiner Seite. Ich wollte, dass Sie eine Art Hochzeitsmahl bekommen.«
Sie ließ das Weinglas sinken und sah ihm in die Augen, während seltsamerweise Verlangen in ihr aufstieg. Vielleicht spürte er das auch, denn er wandte den Blick ab und hantierte mit seinen langen Fingern, die in Handschuhen steckten, mit einem silbernen Salzstreuer. Wie von Zauberhand erschien ein Lakai, räumte ihre Schüssel ab und ging, während Lord Archer weitere Hauben abnahm.
»Wir müssen uns nicht an irgendwelche Menüfolgen halten«, erklärte er. »Ich habe nie verstanden, warum man mit Suppe anfangen muss, dann zu Fisch übergeht und zum Schluss Geflügel oder Fleisch zu sich nimmt.«
Sie konnte ihr Lachen nicht unterdrücken. »Oder Essen, das nicht zu scharf gewürzt ist. Zumindest nicht für die Damen.«
Auch er musste lachen. »Genau. Und alles muss in der richtigen Art und Weise serviert werden. Warum isst man nicht, was man will, wann man will?« Er nahm ihren Teller. »Obwohl … nachdem ich mir alles angeschaut habe … wie wäre es jetzt mit Seezunge? Meine Köchin ist ziemlich begabt, muss ich sagen.«
»Ja, bitte.«
»Das englische Essen ist das Einzige, was ich nicht vermisst habe, als ich fort war.« Er reichte ihr den Teller und setzte sich. »Ich werde wohl höchst betrübt sein, sollte ich in nächster Zeit bei einem richtigen englischen Essen dabei sein.«
»Ist unsere Küche wirklich so schrecklich?«
»Wenn man probiert hat, was der Rest der Welt so zu bieten hat, dann ja. Aber unser Frühstück ist außerordentlich gut.«
Miranda sah ihren Ehemann an. Die Haut eines Menschen war ein unverzichtbarer Hinweis auf dessen wahres Alter, stellte sie jetzt fest. Aus Lord Archers Kleidung ließen sich keine Rückschlüsse ziehen, und so konnte sie sein Alter nur schätzen. Seine Stimme half da auch nicht weiter; so tief und wohltönend konnte sie einem Mann von fünfundzwanzig aber auch sechzig gehören. Sie ließ den Blick über den schlanken, muskulösen Körper eines Mannes in den besten Jahren gleiten. Bei so einer Statur konnte er eigentlich nicht älter als fünfundvierzig sein. Doch seine schnellen, flüssigen Bewegungen vermittelten einen jugendlichen Eindruck. Vielleicht war er in den Dreißigern? Das war er auf jeden Fall; denn für einen Zwanzigjährigen war sein Auftreten viel zu souverän.
»Sind Sie die ganze Zeit im Ausland gewesen, Lord Archer?«
Er lehnte sich zurück und stützte einen Arm auf der Lehne auf. »Ich habe viele Jahre außerhalb von England verbracht. Vor drei Jahren kam ich kurz zurück, um dann gleich wieder durch die Welt zu reisen.«
»Das klingt anstrengend.«
»Das war es gelegentlich auch. Aber ich hatte mich auch mal zehn Jahre lang in Amerika niedergelassen, ehe ich wieder anfing umherzustreifen.«
Miranda bemerkte das Leuchten, das in seine Augen getreten war. »Dort hat es Ihnen gefallen, nicht wahr?«
»Hier gefällt es mir besser«, erklärte er leise, und Miranda wurde plötzlich ganz warm. Einen Moment lang sahen sie einander tief in die Augen, ehe er sich räusperte und entspannter weitersprach. »Ich mag die Amerikaner. Sie denken anders als wir. Ein Mensch ist das, was er aus sich macht, und sollte er sich einen Namen machen, dann wird die Art und Weise, wie er das geschafft hat, von den Amerikanern bewundert. Für sie
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