Kuss des Feuers
Fältchen schimmerten Gilroys freundliche, dunkelbraune Augen. Miranda nickte grüßend, während Lord Archer ihr den Umhang von den Schultern nahm. »Das ist Lady Archer.« Er reichte Gilroy den Umhang.
»Gilroy ist unser Butler, Majordomus und so weiter«, erklärte er ihr in einem Tonfall, als würde ihn die Vorstellung irritieren, Positionen in seinem Haushalt mit bestimmten Bezeichnungen zu versehen.
»Es ist mir eine Ehre, Mylady.« Der Mann deutete eine Verbeugung an. »Auch im Namen der Dienerschaft versichere ich Ihnen, dass wir stets bemüht sein werden, Ihnen alle Wünsche zu erfüllen.«
»Das werden Sie bestimmt«, erwiderte sie und bemühte sich um die gleiche ruhige Würde, die er ausstrahlte. Die Vorstellung, über eine große Dienerschaft zu verfügen, hätte sie fast zur Kutsche zurückrennen lassen. Doch Lord Archer würde sie vermutlich sofort wieder ins Haus schleppen.
Erneut griff Lord Archer nach ihrem Arm, und gemeinsam gingen sie durch die Halle an Landschaftsgemälden und Portraits vorüber, die Damen und Herren mit Perücken zeigten.
»Haben Sie einen Kammerdiener?«, fragte Miranda und drehte sich zu Lord Archer um, als sie einen kleinen Salon passierten, der in Zitronengelb und Weiß gehalten und mit zierlichen Möbeln im griechischen Stil eingerichtet war.
»Nein. Ich bin erwachsen und sehr wohl in der Lage, mich alleine anzuziehen und selber zu rasieren. Gilroy kümmert sich um die Nebensächlichkeiten.« Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung.
Armer Gilroy.
Lord Archer warf ihr einen scharfen Blick zu, als hätte er die stille Kritik gehört. »Schließlich muss ich mir keine Gedanken wegen Frisuren und Verschnürungen machen«, sagte er.
Ermahnungen ihrer Mutter aus Kinderzeiten kamen ihr in den Sinn.
Man spricht nicht über Körperpflege. Ein Gentleman sollte nie die Toilette einer Dame erwähnen
. Andererseits hatte Miranda die Ermahnungen ihrer Mutter immer als sehr erdrückend empfunden. »Ich muss gestehen, dass mich das überrascht«, meinte sie und erhaschte einen kurzen Blick in die Bibliothek, in der blaue Samtsofas und tiefe Ohrensessel aus Leder standen. »Ich habe immer gedacht, für Adlige sei ein Kammerdiener Ehrensache. Mein Vater sagte immer, wenn sie könnten, würden die sich sogar den Hin…« Sie verstummte und wurde knallrot.
Lord Archer warf ihr einen Seitenblick zu. »Fahren Sie fort, Lady Archer.«
Sie entfernte sich einen Schritt, um in einen großen, blau eingerichteten Raum zu schauen, während sie am liebsten vor Scham im Erdboden versunken wäre. Was hatte sie nur dazu getrieben, so ordinär zu werden? Sie hatte Lord Archer mit voller Absicht hänseln wollen.
»Das Damenzimmer«, erklärte er ruhig, während sie zur Decke hinaufblickte. Sie war einem Sommerhimmel nachempfunden und mit Schäfchenwolken bedeckt, die von einzelnen Sonnenstrahlen durchbrochen wurden. Das Haus war altmodisch hergerichtet. Es gab nichts, was einem moderneren Geschmack Rechnung gezollt hätte; keine gemusterten Tapeten, keine Zierdeckchen, Stickereien oder irgendwelcher Nippes, der die leeren Flächen gefüllt hätte. Weiße Türstürze, griechische Ziergiebel über den Türen, die mit Blattgold überzogen waren. Marmorbüsten und gewölbte Spiegel auf den schlichten Kaminsimsen. Gotische Architektur, georgianische Innenausstattung, die Einrichtung im Regency-Stil – man hatte fast das Gefühl, in längst vergangene Zeiten einzutauchen.
»Ich werde morgen eine richtige Führung mit Ihnen unternehmen.« Er ging auf eine breite Treppe mit weißen Marmorstufen zu. »Jetzt müssen Sie sich erst einmal ausruhen.«
Miranda hätte so ein Haus den ganzen Tag erkunden können. Aber sie folgte ihm bereitwillig und spürte, wie ihre Füße lautlos im Teppich versanken, als sie im ersten Stock ankamen.
Die Wände waren karmesinrot. Goldene Wandleuchter mit Kerzen und Palmen in großen Töpfen verliehen dem langen Flur eine heitere Ausstrahlung, doch es war seltsam, dass keine Dienstboten zu sehen waren. »Wo sind die anderen Dienstboten?«, fragte sie im Flüsterton. Man brauchte bestimmt eine ganze Armee von Angestellten, ein solches Haus in Ordnung zu halten.
»Ich habe nicht viele Dienstboten. Meine Privatsphäre ist mir wichtiger. Sie werden die meisten morgen kennenlernen.«
Plötzlich fühlte sie sich in dem riesigen Haus ganz verloren, streckte die Hand aus und berührte seinen Arm. Mit einem leisen Zischlaut wich er vor ihr zurück, und brennende Röte stieg
Weitere Kostenlose Bücher