Kuss des Feuers
eine kleine Gruppe von Männern am Fuße der Treppe. Sie drängten sich dicht zusammen und wirkten mit den hochgezogenen Schultern und den ausladenden schwarzen Rockschößen wie ein Krähenschwarm. Das Alter hatte sie welken lassen und die Haut bis zu den Knochen eingekerbt, sodass Nasen und Wangen deutlich hervortraten. Durchdringende Blicke richteten sich auf sie, und die Augen schimmerten im schwachen Licht, als alle gleichzeitig blinzelten.
»Kennen Sie diese Männer?«, fragte sie und hoffte, dass dies nicht der Fall war. Die Gestalten zitterten förmlich vor schockierter Feindseligkeit.
Archers Griff verstärkte sich leicht. »Ja.«
»Dann sollten wir in eine andere Richtung gehen.«
Miranda wollte schon einen anderen Weg einschlagen, doch Archer ließ es nicht zu. »Ich soll den Eindruck erwecken, ich hätte Angst? Das doch wohl eher nicht.«
Er steuerte mit ihr genau auf die Männer zu.
Der Größte aus der Gruppe trat vor – ein Mann mit einem weißen Schnurrbart, der die ärgerlich verzogenen Lippen nicht verbergen konnte. »Archer«, grüßte er im schroffen Ton eines Angehörigen der Oberschicht, der verstimmt ist. »Ich stelle mit großer Überraschung fest, dass du unterwegs bist.«
Archer deutete eine Verbeugung nur an. »Es scheint, als wären die Gerüchte, die kursieren, falsch, Leland. Wie man sieht, kann ich meinen feurigen Thron verlassen und mich unters redliche Christenvolk mischen.«
Die Haut um die durchdringenden blauen Augen des Mannes straffte sich. »Ach, die Gerüchte haben mir aber gefallen«, meinte er leichthin.
»Alles Blödsinn«, sagte ein Mann von eindrucksvoller Gestalt. Er sah Miranda mit warmen braunen Augen und einem liebenswürdigen Lächeln an. »Wie ich gehört habe, Archer, darf man gratulieren.«
Archer stellte Miranda ihrem Gastgeber, dem lächelnden Lord Cheltenham, dem nach wie vor finster blickenden Lord Leland und zuletzt Lord Merryweather vor. Dieser griff nach Mirandas Fingern. Die tiefliegenden Augen funkelten lauernd, während er ihre Hand ein wenig zu lange festhielt. So ein Schwerenöter. »Ich bin entzückt, Lady Archer. Höchst entzückt.«
Cheltenham wandte sich an Archer. »Gerade heute haben wir ein Treffen der Botanischen Gesellschaft beschlossen, Archer. Ich hab gehört, dass du dir ein umfangreiches Wissen über die Züchtung von … Rosen, nicht wahr? … angeeignet hast.« In den Augen des Mannes blitzte eine Empfindung auf, die Miranda nicht recht benennen konnte, aber es schien, als würde die ganze Gruppe jetzt aufmerksam lauschen. Sie sah Archer an und hätte schwören können, dass er lächelte. Doch seine steife Schulterpartie ließ nicht gerade auf große Erheiterung schließen.
»In der Theorie weiß ich viel«, erklärte Archer regungslos. »Aber nur wenig darüber, wie man das Wissen erfolgreich einsetzt.«
Die nervöse Anspannung in der Gruppe verstärkte sich. Mehrere Augenpaare glitten in ihre Richtung und sahen dann schnell wieder weg.
»Vielleicht möchtest du dich uns nächstes Wochenende anschließen und deine Erkenntnisse erläutern?«, fragte Leland, ehe er Miranda ein höfliches Lächeln schenkte. »Es handelt sich um ein ziemlich trockenes Thema, Mylady, aber das Kreuzen von Pflanzen fasziniert uns über die Maßen, denn dadurch lassen sich völlig neue Spezies züchten.«
Archer blickte ihn finster an, aber Leland beachtete ihn gar nicht. »Zum Beispiel ließe sich aus einer einst empfindlichen, schnell welkenden Rose in einer nicht weiter interessanten Farbe eine widerstandsfähige, schöne und langlebige Sorte schaffen.« Sein dicker Schnurrbart hob sich. »Mit der perfekten Blüte.«
»Wie reizend«, sagte sie höflich, während eine Frage sie nicht mehr los ließ. War ihr Gemahl etwa Botaniker?
Archer rückte dichter an sie heran. »Wir sind alle nur Amateure und spielen mit Dingen, die über unseren geistigen Horizont hinausgehen.«
Sie wollte schon etwas erwidern, als ein verärgertes Knurren ertönte, das in der ganzen Halle zu hören war.
»Ich wusste gar nicht, dass heute ein Kostümfest abgehalten wird«, erklang eine wütende Stimme mit schottischem Akzent hinter Cheltenham. Dieser drehte sich um, und Miranda stockte der Atem. Der Teufel höchstpersönlich durchbohrte Archer mit einem Blick aus blauen, wimpernlosen Augen. Ein Gewirr aus knotigen weißen und feuerroten Narben überzog das Gesicht des Mannes, sodass es kaum noch als menschliches Antlitz zu erkennen war. Instinktiv griff sie nach
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