Kuss des Feuers
dass Archer zusammenzuckte.
»Das hatte ich auch nicht angenommen. Wenn du mir nur nicht in die Quere kommst.«
Archer wandte sich der Tür zu. Fenster waren jetzt nicht mehr notwendig. Es ärgerte ihn, dass er es überhaupt benutzt hatte. Er versteckte sich schon viel zu lange im Dunkeln. »Meine Frau wird in die Gesellschaft eingeführt werden müssen.« Das war doch ein guter Grund für diesen Besuch. »Ich will nicht, dass sie geschnitten wird. Ich weiß, dass die Saison vorbei ist. Trotzdem finden immer noch Veranstaltungen statt. Ich erwarte, dass in Kürze Einladungen eingehen, Leland. Das kannst du gern allen anderen mitteilen.«
Leland zögerte, ehe er die richtigen Worte fand. »Du erwägst es doch nicht etwa ernsthaft, an gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen.«
»Erzähl den Leuten, dass ich exzentrisch bin. In unseren Kreisen hat man immer Gefallen an kauzigem Verhalten gefunden, etwas, worauf die Leute mit dem Finger zeigen können. Trotzdem wird keiner mich ansehen, wenn Lady Archer auch im Raum ist. Das kannst du bestimmt bestätigen.«
Der Mann war wütend, aber er konnte sich nicht weigern – genauso wenig wie die anderen. Das war allen bewusst. Das Ergebnis ihres verrückten kleinen Experiments hatte sich so lange versteckt, wie sie hatten hoffen dürfen. Wenn einer von ihnen dachte, er könnte ihn in die Flucht schlagen, hatte der Narr einen katastrophalen Fehler gemacht.
»Archer.«
Archer blieb stehen, drehte sich aber nur sehr zögernd um.
»Etwas ist passiert«, sagte Leland mit gerunzelter Stirn.
»Nichts Bedeutungsvolles.«
Doch diese Augen sahen zu viel. »Wenn irgendwer deine Rückkehr übelnimmt, dann Rossberry.« Leland neigte den Kopf und betrachtete Archer. »Was du sehr wohl wissen solltest. Man fragt sich, warum du nicht direkt zu ihm gegangen bist.«
Ein eisiges Kribbeln breitete sich in Archers Nacken aus. »Rossberry ist draußen?«
Leland verzog den Mund. »Er wurde gerade erst entlassen. Man hat ihn wohl nicht bis in alle Ewigkeit einsperren können.«
Archer machte ein wütendes Gesicht. Und doch hatten alle gemeint,
er
sollte bis in alle Ewigkeit wegbleiben.
Leland verstand den Grund für sein Schweigen und besaß den Anstand, ärgerlich auszusehen. »Wenn du meine Hilfe willst, brauchst du nur zu fragen.«
Das fehlte gerade noch! Archer würde Leland nie wieder um Hilfe bitten. Der Mann war der Erste gewesen, der vorgeschlagen hatte, dass Archer die Stadt verlassen sollte.
»Und welche Hilfe hat ein alter Mann schon zu bieten?« Archer zuckte innerlich zusammen, als die Worte seinen Mund verließen, doch er brachte es nicht über sich, sich zu entschuldigen. »Percival ist tot«, erklärte er unverblümt.
Leland wich alle Farbe aus dem Gesicht. »Wann? Wie?«
»Heute. Er wurde ermordet. Zweifellos wird es der Skandal des morgigen Tages sein. Ich bin der Hauptverdächtige. Ein Dienstbote hörte Percival meinen Namen rufen. Jemand anders meint, mich am Tatort gesehen zu haben.«
Leland nickte einmal kurz. »Weißt du, wer es getan hat?«
Himmel, Archer hatte seinen Freund vermisst. »Nein« – er räusperte sich – »aber ich habe vor, es herauszufinden.«
9
»Sagen Sie mir noch einmal, warum wir zu dieser Feier gehen.«
In den Tagen nach der Ermordung von Sir Percival Andrew überboten sich Obstverkäufer und Journalisten mit ihren grauenhaften Schilderungen. Alle waren völlig gefesselt von dem Thema; denn alle wussten ganz genau, wer der Mörder war: Lord Benjamin Archer.
Dass er mitten unter ihnen lebte und noch nicht der Justiz übergeben worden war, steigerte nur noch den Nervenkitzel. Das Gerede der Leute war ein verschlagener Gegner. Über die Dienstboten hatten sich Einzelheiten über Sir Percivals schrecklichen Tod wie Nebel in ganz London ausgebreitet.
Miranda spürte die Wirkung des Geredes deutlich. Sie erinnerte sich daran, wie sich nach dem Verlust des väterlichen Vermögens die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre Familie gerichtet hatte. Alle Welt schien darüber Buch zu führen, welche Möbelstücke und Kunstgegenstände ihr Vater verkaufte, um sie vor der Straße zu bewahren.
Archer dagegen verlor kein Wort über den Mord. Wie ein Hund, der auf seinen Knochen aufpasst, wich er nicht von ihrer Seite. Und obwohl er ihr nicht explizit verboten hatte auszugehen, sorgte er doch geschickt dafür, dass sie die ganze Zeit zu Hause beschäftigt war. Wie es wäre, einen Spaziergang im Garten zu machen? Ob sie nicht Gebrauch von der
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