Kuss des Feuers
ließ es nicht zu.
»Dass der angeborene Instinkt, sich zu verteidigen, dir befohlen hat zu handeln, macht die Schuld nicht geringer, nicht wahr?« Sie sagte es mit aus Erfahrung sprechender Überzeugung. In diesem Moment schwor er sich, dass sie nie wieder diese Art von Schuld erfahren sollte. Nie wieder stehlen musste oder Angst haben sollte. Auch wenn er nicht mehr lebte, würde sein Geld ihr diese Sicherheit geben.
Er zwang sich zu einer Antwort. »Nein, das tut es nicht.«
Sie nickte, und ihr seidiges Haar strömte über das Kissen. Regentropfen begannen gegen das Fenster zu prasseln, dann rüttelte heftiger Wind daran und begehrte Einlass.
»Ich habe nie irgendjemand davon erzählt«, sagte sie nach einer Weile.
Das Kissen unter seinem Kopf raschelte, als er sich leicht drehte, um sie besser ansehen zu können. »Warum hast du es mir erzählt?«
Ihre kleine Hand umfasste seine fester und zog sie näher. »Mein ganzes Leben lang habe ich mich immer auf mein Aussehen verlassen und erst an zweiter Stelle auf meinen Verstand. So wurde es von mir erwartet und sogar gefordert. Aber du hast mich gleich von Anfang an durchschaut. Du bist der einzige Mann, den ich je kennengelernt habe, der nicht nur mein Gesicht sah, sondern wissen wollte, wie ich bin. Und nun stelle ich fest, ich möchte, dass du alles über mich weißt.«
Ich liebe dich
. Einen qualvollen Moment lang befürchtete er, es laut gesagt zu haben. Seine Seele schrie es förmlich. Drei lange Jahre waren vergangen, und es hatte nicht einen Tag gegeben, an dem er nicht an sie gedacht hatte. Sie hatte sein ganzes Denken erfüllt, bis sie zum Sinnbild vollkommener Weiblichkeit für ihn geworden war. Er hatte befürchtet, sie würde vielleicht seinen völlig übersteigerten Vorstellungen gar nicht gerecht werden, wenn er sie sich holen kam. Und sie hatte es in der Tat nicht getan. Ja, die wahre Miranda war tapfer, loyal und pragmatisch. Außerdem aufdringlich, streitsüchtig und eigensinnig. Die wahre Miranda war ein Mensch, und – beim Allmächtigen – sie raubte ihm den Atem. Er wusste, dass er sie bis in alle Ewigkeit lieben würde. Was sollte er tun?
Donnerschläge ließen das Haus erbeben, während ihr beider Atem sich vermischte. »Und du?«, gelang es ihm hervorzustoßen, obwohl seine Kehle wie zugeschnürt war. »Hast du mir nicht das gleiche Geschenk gemacht? In all den Jahren, seit ich diese elende Maske angelegt habe, hat keiner gewagt, sich daran zu stören.«
Zwischen ihnen breitete sich eine erwartungsvolle Spannung aus. Er würde sie nicht küssen. Das würde er nicht tun. Sein Herz schlug wild rasend gegen seine Rippen. Aber er konnte sie halten. Nur das. Langsam wie ein Mann, der sich einem scheuen Fohlen nähert, streckte er die Hand aus. Sie senkte die Lider, als er seinen Arm um ihre schmale Taille legte. Einen Moment lang war er ganz benommen und atemlos, als er spürte, wie sich ihr Körper an seinen schmiegte. Sanft drückte er ihren Kopf unter sein Kinn. Er wollte das Gesicht in ihrem Haar vergraben und ihren Duft tief einatmen, um sie dann tagelang einfach nur zu halten. War dem Rest der Welt denn nicht klar, was für eine unerträgliche Freude es für einen Mann bedeutete, eine Frau in den Armen zu halten?
Er war so ein Idiot, dass er sie in sein Leben geholt hatte. Ein selbstsüchtiger Idiot. So schrecklich selbstsüchtig, wo er doch genau wusste, dass es für ihn keine Hoffnung gab. Ja, er wusste es. Nur dass ihm Vernunft hier gar nichts brachte. Von dem Augenblick an, als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er keine Chance gehabt.
Such den Ring.
Daoud war davon überzeugt gewesen, dass der Ring den Weg zu seiner Heilung weisen würde. Er musste ihn finden. Erst dann würde er sie für sich einfordern.
Ihre schmale Hand lag auf seinem Herzen, als sie seufzte. »Ich hasse es, Angst zu haben, Archer.«
Vorsichtig strich er über ihr Haar und versuchte, entspannt zu bleiben. Am liebsten hätte er geschrien, weil sie seinetwegen Angst hatte und in Gefahr war. »Ich auch.« Er küsste sie auf den Scheitel und schloss die Augen gegen den Ansturm aus Hilflosigkeit und Wut. »Schlaf, schöne Miranda. Ich bin jetzt bei dir.«
19
»Soll ich diese Person abwimmeln, Mylady?«
Es war nach sechs und damit eine gänzlich unpassende Zeit für Besucher, was auch Gilroys gerümpfte Nase deutlich erkennen ließ. Darüber hinaus handelte es sich bei dem Besucher um einen Herrn, der noch dazu allein gekommen war. Was für ein
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