Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
und besah es sich von allen Seiten, während er nachdenklich vor sich hin murmelte.
Ich beschattete meine Augen und schaute hinauf. »Wer ist das? Ein ziemlich hässlicher Kerl jedenfalls.«
»Ugra Narasimha ist halb Mensch, halb Löwe, wenngleich er auch andere Gestalt annehmen kann. Er soll Angst einflößend und beeindruckend ausgesehen haben. Besonders bekannt ist er dafür, einen mächtigen Dämonenkönig besiegt zu haben. Interessanterweise konnte der Dämonenkönig weder auf Erden noch in der Luft getötet werden, nicht während des Tages noch in der Nacht, weder drinnen noch draußen, weder von einem Menschen noch einem Tier und auch nicht mit einem Gegenstand, der tot oder lebendig war.«
»Hier in Indien laufen aber eine ganze Menge unbesiegbarer Dämonen herum. Und wie hat Ugra Narasimha den Dämonenkönig nun getötet?«
»Ach, er war einfach gewitzt. Er hob den Dämonenkönig hoch, setzte ihn sich auf den Schoß und tötete ihn dann in der Dämmerung, auf einer Türschwelle, mit den Klauen.«
Ich lachte. »Klingt nach Miss Scarlett, im Wintergarten, mit dem Kerzenständer.«
Mr. Kadam kicherte. »In der Tat.«
»Hm, Tag oder Nacht, das war Dämmerung, drinnen oder draußen war die Türschwelle, und er war halb Mensch, halb Löwe, das deckt also die Mensch/Tier-Voraussetzung ab. Weder auf Erden noch in der Luft bedeutet auf seinem Schoß … Was war das Letzte?«
»Er konnte nicht mit einem Gegenstand getötet werden, der tot oder lebendig war«, entgegnete er, »der belebt oder unbelebt war, weshalb er seine Klauen einsetzte.«
»Huch. Das ist wirklich clever.«
»Ich bin beeindruckt, Kelsey. Sie haben fast alles alleine herausgefunden. Wenn Sie ihn sich genau anschauen, sehen Sie, dass er auf einer siebenköpfigen Schlange sitzt, und ihre Köpfe erheben sich über ihm, mit gespreizten Hauben, um ihm Schatten zu spenden.«
Ich verzog das Gesicht. »Huch, das sind ja wirklich Schlangen.« Ich verdrehte ein wenig meinen Arm und spähte zu meiner goldenen Schlange. Fanindra war weiterhin ein regloses Schmuckstück.
Mr. Kadam murmelte wieder still vor sich hin und betrachtete eingehend die Ugra-Narasimha-Statue.
»Wonach suchen Sie, Mr. Kadam?«
»Ein Teil der Prophezeiung lautet, lass Schlangen dich führen . Bis eben dachte ich, damit wäre Ihre goldene Schlange gemeint, aber vielleicht ist der Plural von Bedeutung.«
Ich trat zu ihm und suchte nach einem geheimen Eingang oder einem Handabdruck wie dem, den ich letztens gefunden hatte, fand jedoch nichts. Wir versuchten, so ungezwungen wie die anderen Touristen auszusehen, während wir die Statue musterten.
Schließlich gab Mr. Kadam auf und sagte: »Wahrscheinlich wäre es besser, wenn Sie und Ren am Abend zurückkehren. Ich hege die Vermutung, dass sich der Eingang nach Kishkindha irgendwo in der Nähe der Statue befindet.«
Wir brachten Ren ein kaltes Abendessen. Ich riss Stücke vom Tandoori -Hühnchen ab, die er vorsichtig aus meiner Hand knabberte, und erzählte ihm von den verschiedenen Gebäuden, die wir beim Tempel untersucht hatten.
Mr. Kadam erklärte, dass die Ruinen bei Anbruch der Dunkelheit zum Schutz vor eventuellen Schatzsuchern geschlossen würden. »Im Grunde«, sagte er, »sind die Schatzsucher für den Großteil der Zerstörung verantwortlich, den Sie hier in der Ruine sehen. Sie graben nach Gold und Juwelen, aber so etwas gibt es schon längst nicht mehr hier. Die Schätze Hampis sind nun genau die Dinge, die sie zerstören.«
Mr. Kadam hielt es für das Beste, uns auf der anderen Seite des Berges abzusetzen, da von dort keine Straße nach Hampi führte und die Ecke weniger gut bewacht war.
»Aber wenn es keine Straße gibt, wie kommen wir dann hin?«, fragte ich und fürchtete zugleich Mr. Kadams Antwort.
Er grinste. »Genau für solche Gelegenheiten habe ich den Jeep gekauft, Miss Kelsey.« Begeistert rieb er sich die Hände. »Das wird aufregend!«
Mit einem Stöhnen murmelte ich: »Fantastisch. Ich spüre die Übelkeit bereits in mir aufsteigen.«
»Sie werden die Gada in Ihrem Rucksack transportieren müssen, Kelsey. Schaffen Sie das denn auch?«
»Natürlich. Sie ist ja nicht wirklich schwer.«
Er hielt mitten in der Bewegung inne und sah mich verwirrt an.
»Was meinen Sie mit ›sie ist nicht schwer‹? Sie ist sogar sehr schwer.« Er zog sie aus ihrer Hülle und hob sie mit beiden Händen hoch, wobei er die Muskeln anspannen musste.
Verwundert murmelte ich: »Das ist sonderbar. Ich hatte den
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