Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
nicht ganz so nahe wärst, während wir das hier besprechen.«
Er seufzte, schritt in aller Seelenruhe zur Zimmerecke, setzte sich auf den Stuhl und lehnte sich an die Wand, wobei er auf den beiden Hinterbeinen des Stuhls balancierte. »Kelsey, ich werde all deine Fragen beantworten. Du musst nur Geduld mit mir haben und mir Zeit für meine Erklärungen geben.«
»Also schön. Her mit den Erklärungen.«
Während er sich sammelte, musterte ich sein Äußeres. Ich konnte nicht glauben, dass dies hier mein Tiger war – dass der Tiger, der mir derart am Herzen lag, dieser Mann war.
Abgesehen von den Augen hatte er nicht viel Tigerhaftes an sich. Volle Lippen, ein markantes Kinn und eine aristokratische Nase. Einen Mann wie ihn hatte ich nie zuvor gesehen. Ich konnte es nicht in Worte fassen, aber da war noch etwas: eine Aura der Kultiviertheit, die ihn umgab. Er strahlte Selbstvertrauen, Stärke und Vornehmheit aus.
Selbst barfuß und mit unscheinbarer Kleidung wirkte er wie ein mächtiger Mann. Und selbst wenn er nicht attraktiv gewesen wäre – und er war äußerst attraktiv –, hätte ich mich zu ihm hingezogen gefühlt. Vielleicht war das der Tiger in ihm. Tiger hatten etwas Majestätisches an sich. Er war als Mann ebenso schön wie als Tiger.
Ich vertraute meinem Tiger, aber konnte ich dem Mann vertrauen? Wachsam beäugte ich ihn vom Rand des wackeligen Bettes aus, wobei meine Zweifel vermutlich deutlich in meinem Gesicht abzulesen waren. Er war geduldig, erlaubte mir, ihn unverhohlen anzustarren, schien sogar amüsiert darüber, als könnte er meine Gedanken lesen.
Schließlich durchbrach ich die Stille. »Nun, Ren? Ich bin ganz Ohr.«
Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich den Nasenrücken und strich dann mit der Hand durch sein seidig schwarzes Haar, zerzauste es auf eine Art, die mich ganz aus der Fassung brachte.
Er ließ die Hand in den Schoß sinken und seine Augen sahen mich nachdenklich unter dichten Wimpern hervor an. »Ach, Kelsey. Wo soll ich anfangen? Es gibt so vieles, das ich dir erzählen muss, aber ich weiß nicht einmal, wo ich beginnen soll.«
Seine Stimme war leise, artikuliert und wohlklingend, und schon bald war ich von ihr wie hypnotisiert. Er sprach perfektes Englisch mit einem hauchzarten Akzent. Er hatte eine honigweiche Stimme – die auf jeden Fall von der Sorte war, dass ein Mädchen in sehnsüchtige Tagträume versinkt. Ich schüttelte meine Gedanken ab, hob den Blick und ertappte ihn dabei, wie er mich mit seinen kobaltblauen Augen musterte.
Zwischen uns gab es ein geradezu greifbares Band. Ich wusste nicht, ob es einfach nur körperliche Anziehung war oder noch etwas anderes. Allein seine Gegenwart war verstörend. Ich wandte den Blick ab und atmete tief durch, doch es gelang mir nicht, mich zu beruhigen. Im Gegenteil: fieberhaft rieb ich mir die Hände und starrte auf meine Füße, die in rastloser Nervosität auf den Bambusboden klopften. Als ich ihm wieder ins Gesicht sah, grinste er verschmitzt und zog eine Augenbraue hoch.
Ich räusperte mich matt. »Tut mir leid. Was hast du gesagt?«
»Ist es so schwer, eine Weile stillzusitzen und zuzuhören?«
»Nein. Du machst mich nervös, das ist alles.«
»Früher warst du in meiner Gegenwart nie nervös.«
»Nur siehst du eben nicht mehr aus wie früher. Du kannst nicht erwarten, dass ich mich dir gegenüber jetzt benehme, als wäre nichts.«
»Kelsey, versuch, dich zu entspannen. Ich würde dir niemals wehtun.«
»Okay. Ich setze mich auf meine Hände. Ist das jetzt besser?«
Er lachte.
Wow. Selbst sein Lachen ist unwiderstehlich.
Er kreiste mit den kräftigen Schultern und zog dann an den Bändern einer Schürze, die neben ihm von einem Haken herabhing. Gedankenversunken wickelte er das Band um seine Finger und sagte: »Ich muss mich beeilen. Ich habe nur wenige Minuten pro Tag, an denen ich menschliche Gestalt annehmen kann – nur vierundzwanzig Minuten alle vierundzwanzig Stunden –, und da ich mich schon bald wieder in einen Tiger verwandle, möchte ich das Beste aus der Zeit mit dir machen. Schenkst du mir diese wenigen Minuten?«
Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Ja. Ich möchte deine Erklärung hören. Fahr bitte fort.«
»Erinnerst du dich an die Geschichte von Prinz Dhiren, die Mr. Kadam dir im Zirkus erzählt hat?«
»Ja. Warte. Willst du etwa sagen …?«
»Die Geschichte ist fast bis ins Detail wahr. Ich bin der Dhiren, von dem er erzählt hat. Ich war der Prinz des Mujulaainischen
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