Kuss des Tigers - Eine unsterbliche Liebe
sein, weiß ich nicht, ob er am Leben ist. Ich vermute es, weil ich ja auch am Leben bin. Mr. Kadam ist überzeugt, dass er sich hier in diesem Teil des Dschungels aufhält.«
Er drehte sich um und blickte zum Wasserfall hinüber, setzte sich dann neben mich, streckte die langen Beine aus und nahm meine Hand in seine. Er spielte mit meinen Fingern, während er sprach. »Ich glaube, dass er noch lebt. Es ist nur so ein Gefühl. Mein Plan lautet, dass ich dieses Gebiet in immer größeren Kreisen durchstreife. Irgendwann wird einer von uns auf den Geruch des anderen stoßen. Wenn mein Bruder nicht auftaucht oder ich seine Fährte in den nächsten Tagen nicht aufnehme, kehren wir um, finden Mr. Kadam und setzen unsere Reise fort.«
»Und was ist meine Aufgabe dabei?«
»Hier zu warten. Wenn er mich nicht erhören will, hoffe ich, dass du ihn überzeugen kannst. Außerdem hoffe ich, dass …«
»Du hoffst was?«
Er schüttelte den Kopf. »Spielt im Moment keine Rolle.« Abwesend drückte er meine Hand und sprang auf. »Lass mich dir rasch helfen, dein Lager aufzuschlagen, bevor ich mit meiner Suche beginne.«
Ren sammelte Feuerholz, während ich ein kleines, leicht aufzubauendes Zelt für zwei Personen ausrollte, das außen am Rucksack festgeschnallt gewesen war. Vielen Dank, Mr. Kadam! Nach ein paar Minuten kam Ren herüber, um mir zu helfen. Er hatte bereits ein Feuer entfacht und einen hübschen Holzstapel zusammengesucht, um es am Brennen zu halten.
»Das war schnell«, murmelte ich neidisch, während ich den Zeltstoff über einen Haken stülpte.
Sein Kopf tauchte auf der anderen Seite auf und er grinste. »Ich bin geübt darin, im Freien zu leben.«
»Was du nicht sagst.«
Er lachte. »Kells, es gibt viele Dinge, die du kannst und ich nicht. Wie zum Beispiel dieses Zelt aufbauen.«
Ich lächelte. »Zieh den Stoff über den Haken an der Stange.«
Schon bald waren wir fertig, und er stemmte die Hände in die Hüften. »Vor dreihundert Jahren gab es solche Zelte nicht. Sie sehen zwar ähnlich aus, aber diese hier sind viel komplizierter. Wir haben einfach Stangen aus Holz benutzt.«
Er kam auf mich zu, zog an meinem Zopf und küsste mich spontan auf die Stirn. »Lass das Feuer nicht ausgehen. Es verscheucht wilde Tiere. Ich werde ein paar Runden drehen, aber zurück sein, bevor es ganz dunkel ist.«
Ren sprang in Tigergestalt zurück in den Dschungel. Ich zupfte an meinem Zopf, dachte eine Weile über ihn nach und lächelte.
Während ich auf seine Rückkehr wartete, durchsuchte ich meinen Rucksack, um herauszufinden, was Mr. Kadam zum Abendessen vorgesehen hatte. Ah, er hat sich mal wieder selbst übertroffen – gefriergetrocknetes Hähnchen mit Reis und als Nachtisch Schokoladenpudding. Ich goss etwas Wasser aus meiner Flasche in einen kleinen Topf und setzte ihn auf einen flachen Stein, den ich in die Glut geschoben hatte. Als das Wasser kochte, benutzte ich ein T-Shirt als Topflappen und gab das heiße Wasser in den Beutel. Ich wartete einige Minuten, bis es gequollen war, und ließ mir das Essen dann schmecken, das eigentlich gar nicht so schlecht war, zumindest leckerer als Sarahs Tofu-Truthahn zu Thanksgiving.
Der Himmel verdunkelte sich, und ich kletterte in mein Zelt und legte meine Steppdecke zu einem Kissen zusammen.
Kurz darauf kehrte Ren zurück, und ich hörte, wie er Holz nachlegte. Er sagte: »Noch kein Zeichen von ihm.« Dann verwandelte er sich wieder in einen Tiger und ließ sich vor der Zeltöffnung nieder.
Ich zog den Reißverschluss des Zelts auf und fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich seinen Rücken wieder als Kissen benutzen würde. Als Antwort rückte er näher und streckte sich der Länge nach aus. Ich kuschelte mich an ihn, legte den Kopf auf sein weiches Fell und wickelte mir die Steppdecke um den Körper. Seine Brust hob und senkte sich mit einem gleichmäßigen, tiefen Schnurren, das mir beim Einschlafen half.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war von Ren weit und breit nichts zu sehen. Erst um die Mittagszeit kehrte er zum Zeltplatz zurück.
»Hier, Kells. Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte er mit gesenktem Blick und hielt mir drei Mangos hin.
»Danke. Äh, darf ich fragen, woher du die hast?«
»Von Affen.«
Ich stockte mitten in der Bewegung. »Von Affen? Was meinst du mit ›von Affen‹?«
»Nun, Affen mögen keine Tiger, weil Tiger Affen fressen. Wenn nun ein Tiger auftaucht, springen sie auf die Bäume und bombardieren ihn mit Früchten oder
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