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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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wo ist sie? Wo haben sie sie untergebracht? Im Bordell?«
    Althea ließ den Lederschlauch los und schlang die Arme um ihren dünnen Körper.
    »Mein Bruder ist nie gekommen. Er hat mich nie hier rausgeholt«, sagte sie kläglich, während Schweiß und Tränen durch den Puder auf ihrem Gesicht sickerten und ihn in einen cremigen Brei verwandelten. »Du kannst sie nicht haben.« Doch ihr Blick scherte seitlich aus in Richtung der Treppe, die zum dritten Stock führte.
    Wie elektrisiert stürmte Harry aus dem Zimmer und die Treppe hinauf. Ein gesegneter kühler Luftstrom und ein Streifen natürlichen Lichts kamen aus einem der beiden oberen Räume. Er ging hinein und ließ den Blick durch das trostlose Zimmer gleiten. Das Bett war zerwühlt, und das Fenster stand sperrangelweit offen.
    Harry erstarrte, und ein stechender Schmerz fuhr ihm durch die Brust. Ihm blieb vor Angst das Herz stehen. » Cat! «, hörte er sich selbst schreien und rannte zum Fenster. Er schnappte nach Luft und blickte hinunter auf die Straße, drei Stockwerke tief.
    Aber unten war kein verletzter Körper zu sehen, auch kein Blut, nichts außer Müll und Pferdemist.
    Im Augenwinkel erregte ein weißes Flattern seine Aufmerksamkeit, die Bewegung erinnerte ihn an das Flügelschlagen eines Vogels. Er wandte den Kopf nach links und hielt vor Schreck den Atem an, als er seine Schwester erblickte.
    Catherine kauerte in einem weißen Nachthemd auf der Kante eines Dachgiebels. Sie war nur etwa drei Meter vom Fenster entfernt. Offenbar war sie den unglaublich schmalen Vorsprung entlanggeklettert, der unten über dem zweiten Stock herausragte. Die Arme hatte sie um ihre schlanken Knie geschlungen, und sie zitterte heftig. Die Brise spielte mit ihren offenen Locken, glitzernde Fahnen gegen den grauen Himmel. Ein Windstoß, ein kurzzeitiger Verlust des Gleichgewichts, würden sie vom Giebel in die Tiefe stürzen.
    Noch beängstigender als Catherines gefährliche Lage war der leere Ausdruck in ihrem Gesicht.
    »Cat«, sagte Harry vorsichtig, und ihr Gesicht wandte sich ihm zu.
    Sie schien ihn nicht zu erkennen.
    »Rühr dich nicht«, bat er heiser. »Halt still, Cat.« Er zog den Kopf gerade so lange in den Raum zurück, um » Ramsay! « zu schreien, dann tauchte er schon wieder am Fenster auf. »Cat, du darfst keinen einzigen Muskel bewegen. Nicht einmal blinzeln.«
    Sie reagierte nicht, sondern saß nur mit leerem Blick da und zitterte weiter wie Espenlaub.
    Leo kam zu Harry ans Fenster und streckte seinerseits den Kopf nach draußen. Harry hörte, wie Leo der Atem stockte. »Ach, du Heilige Mutter Gottes.« Während er die Lage abschätzte, wurde Leo plötzlich sehr, sehr ruhig. »Sie steht unter Drogen«, sagte er. »Das wird ein ganz schönes Kunststück werden.«

Einunddreißigstes Kapitel
    »Ich werde über das Sims gehen«, schlug Harry vor. »Ich habe keine Höhenangst.«
    Leo machte ein grimmiges Gesicht. »Ich auch nicht. Aber es würde weder dich noch mich aushalten – zu viel Gewicht auf den Balken. Die über uns sind morsch, und mit den anderen sieht es vermutlich nicht besser aus.«
    »Gibt es noch eine andere Möglichkeit, zu ihr zu kommen? Vom Dach im dritten Stock?«
    »Das würde zu lange dauern. Sprich du weiter mit ihr, während ich ein Seil besorge.«
    Leo verschwand, und Harry hängte sich noch weiter aus dem Fenster. »Cat, ich bin’s«, sagte er. »Harry. Du kennst mich doch, oder?«
    »Natürlich.« Ihr Kopf sank auf die gebeugten Knie, und sie schwankte. »Ich bin so müde.«
    »Cat, warte. Jetzt ist keine gute Zeit für ein Nickerchen. Hebe deinen Kopf und sieh mich an.« Harry sprach weiter mit ihr, erinnerte sie daran, stillzuhalten, wach zu bleiben, aber sie reagierte kaum. Mehr als einmal veränderte sie ihre Position, und Harrys Herz sank, als er sie vor seinem inneren Auge schon über das Dach hinunterrutschen sah.
    Zu seiner Erleichterung kehrte Leo in null Komma nichts mit einem Seil von beträchtlicher Länge zurück. Sein Gesicht war schweißüberströmt, und er sog die frische Luft tief in seine Lungen.
    »Das ging schnell«, sagte Harry und nahm ihm das Seil ab.
    »Wir befinden uns unmittelbar neben einem berüchtigten Peitschenkerker«, erklärte Leo. »Da gibt es Seile im Überfluss.«
    Harry maß mit den Armen zwei Spannen ab und begann einen Knoten zu binden. »Solltest du sie überreden wollen, zum Fenster zurückzukehren«, sagte er, »so kann ich dir jetzt schon sagen, dass es nicht funktionieren wird. Sie

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