Kuss im Morgenrot: Roman
ein völlig normales Ereignis war, war es für Leo die nervenaufreibendste Erfahrung seines ganzen bisherigen Lebens. Mit anzusehen, wie seine Frau Schmerzen erlitt, war für ihn nicht auszuhalten, zumal er noch nicht einmal etwas tun konnte. Es spielte keine Rolle, wie oft man ihm versicherte, dass die Geburt ausgezeichnet verlief … endlose Stunden qualvoller Schmerzen schienen ihm nicht gerade so ausgezeichnet zu sein.
Acht Stunden hatte Leo nun im Salon ausgeharrt, den Kopf in die Hände gestützt, grübelnd und schweigsam und untröstlich. Er hatte Angst um Catherine, und er konnte es kaum ertragen, von ihr getrennt zu sein. Wie er vorausgesagt hatte, liebte er wie ein Wahnsinniger. Und wie sie einst behauptet hatte, war sie absolut in der Lage, damit umzugehen. Sie waren in so vieler Hinsicht verschieden, und doch waren sie irgendwie genau richtig füreinander.
Das Ergebnis war eine bemerkenswert harmonische Ehe. Sie unterhielten sich mit heftigem, scherzhaftem Gezänk und langen, nachdenklichen Gesprächen. Wenn sie unter sich waren, sprachen sie oft in Abkürzungen miteinander, einer Art Geheimsprache, die außer ihnen niemand verstanden hätte. Sie waren eine physikalische Verbindung, leidenschaftlich und liebevoll. Verspielt. Die echte Überraschung ihrer Ehe aber war die Freundlichkeit, mit der sie einander begegneten … ausgerechnet sie, die sich immer so bitterlich bekämpft hatten.
Leo hätte nie für möglich gehalten, dass die Frau, die früher seine schlechteste Seite zum Vorschein gebracht hatte, nun das Beste in ihm hervorholte. Und er hätte sich nie träumen lassen, dass seine Liebe für sie so unermesslich tief werden würde, dass es hoffnungslos war, sie in irgendeiner Weise kontrollieren oder zurückhalten zu wollen. Im Angesicht einer solchen Liebe konnte sich ein Mann nur ergeben.
Wenn Catherine irgendetwas zustoßen würde … wenn bei der Geburt etwas schieflief …
Als Amelia mit einem kleinen Bündel im Arm den Salon betrat, stand Leo langsam auf, die Fäuste geballt. Amelia blieb in der Nähe der Tür stehen, als sich die Familie jubelnd um sie versammelte. »Ein reizendes kleines Mädchen«, verkündete sie strahlend. »Der Doktor sagt, sie hat eine ausgezeichnete Farbe und wunderbar starke Lungen.« Sie brachte das Kind zu Leo.
Er war vor Angst wie erstarrt. Er nahm den Säugling nicht entgegen, sondern starrte Amelia an und fragte heiser: »Wie geht es Marks?«
Amelia verstand sofort. Ihre Stimme wurde sanft, als sie antwortete. »Alles ist bestens. Ihr geht es ziemlich gut, mein Lieber. Du kannst jetzt zu ihr hinaufgehen. Aber begrüße erst einmal deine Tochter.«
Ein bebender Seufzer entfuhr Leo, und er nahm ihr behutsam den Säugling ab. Er blickte voll Staunen in das winzige rosige Gesichtchen, den kleinen Rosenmund. Wie leicht das Kind war … ihm fiel es schwer zu glauben, dass er einen vollständigen Menschen im Arm hielt.
»Sie hat eine ganze Menge Hathaway-Gene im Blut«, meinte Amelia mit einem Lächeln.
»Nun, wir tun, was wir können, um das zu korrigieren.« Leo beugte sich herunter, um die winzige Stirn seiner Tochter zu küssen, und die Büschel ihres schwarzen Haars kitzelten ihn an den Lippen.
»Habt ihr schon einen Namen ausgewählt?«, erkundigte sich Amelia.
»Emmaline.«
»Französisch. Sehr hübsch.« Aus irgendeinem Grund lachte Amelia leise, bevor sie fragte: »Welchen Namen hättet ihr einem Jungen gegeben?«
»Edward.«
»Nach Vater? Wie schön. Und ich glaube, er könnte zu ihm passen.«
»Zu wem?«, fragte Leo, der noch in die Betrachtung seiner Tochter vertieft war.
Amelia nahm ihn am Kinn und lenkte seinen Blick zur Tür, wo Win mit einem weiteren Bündel stand, das sie gerade Merripen, Cam und Beatrix zeigte.
Leos Augen weiteten sich. »Mein Gott. Zwillinge? «
Cam trat mit einem breiten Grinsen auf ihn zu. »Einen hübschen Jungen hast du da. Du bist gleich mit voller Wucht Vater geworden, phral .«
»Und Leo«, fügte Beatrix hinzu, »du hast gerade noch rechtzeitig einen Erben in die Welt gesetzt … am vorletzten möglichen Tag.«
»Rechtzeitig, wofür?«, fragte Leo benommen. Er reichte Amelia seine Tochter und nahm seinen Sohn von Win. Als er in das Gesicht des Kindes hinunterblickte, verliebte er sich ein zweites Mal am selben Tag. Für sein überwältigtes Herz war das beinahe zu viel.
»Die Zinslehensklausel natürlich«, hörte er Beatrix sagen. »Die Hathaways dürfen Ramsay House jetzt behalten.«
»Ich kann nicht
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