Kuss im Morgenrot: Roman
›unmoralischen Wüstling‹«, fügte er hinzu. »Den finde ich immer am besten.«
» Raus !«
Er wich langsam vom Frisiertisch zurück. »Schon gut. Ich gehe. Offensichtlich haben Sie Angst, Sie könnten nicht mehr in der Lage sein, Ihr Verlangen nach mir zu zügeln, wenn ich noch länger in Ihrer Nähe bleibe.«
»Das einzige Verlangen, das ich in Ihrer Gegenwart verspüre«, sagte sie, »hat mit Verstümmelung und Zerstückelung zu tun.«
Leo grinste und ging zur Tür. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte über die Schulter zu ihr zurück. »Ihre Brille ist schon wieder beschlagen«, teilte er ihr hilfsbereit mit und schlüpfte hinaus, bevor sie etwas nach ihm werfen konnte.
Fünftes Kapitel
»Leo«, sagte Amelia, als Leo am nächsten Morgen den Frühstücksraum betrat, »du musst heiraten.«
Leo warf ihr einen warnenden Blick zu. Seine Schwester wusste genau, dass er so früh am Morgen keine Lust auf ernsthafte Gespräche hatte. Er zog es vor, den Tag langsam anzugehen, während sich Amelia am liebsten ohne zu zögern hineinstürzte. Überdies hatte er schlecht geschlafen, geplagt von erotischen Träumen, in denen hauptsächlich Catherine Marks vorkam.
»Du weißt genau, dass ich niemals heiraten werde«, erwiderte er.
Marks’ Stimme drang aus einer Zimmerecke herüber. Sie hockte auf einem kleinen Stuhl. Die Sonne spiegelte sich in ihrem blonden Haar und brachte die Staubpartikel um sie herum zum Glitzern. »Das ist gut, denn Sie würden sowieso keine vernünftige Frau finden, die Sie haben will.«
Leo nahm die Herausforderung ohne zu zögern an. »Eine vernünftige Frau …«, grübelte er laut. »Ich glaube, so eine ist mir in meinem Leben noch nie begegnet.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte sie. »Ihr Charakter würde Sie ja gar nicht interessieren. Sie wären viel zu sehr damit beschäftigt, ihre … ihre …«
»Ihre was?«, platzte er heraus.
»… ihre Kleidermaße zu studieren«, brachte sie den Satz schließlich zu Ende, und er konnte es sich nicht verkneifen, über ihre Prüderie zu lachen.
»Fällt es Ihnen denn wirklich so schwer, ganz banale Körperteile zu benennen, Marks? Brüste, Hüften, Beine … Warum ist es so unschicklich, über die menschliche Anatomie geradeheraus zu sprechen?«
Ihre Augen verengten sich. »Weil es zu unanständigen Gedanken führt.«
Leo lächelte sie süffisant an. »Die habe ich bereits.«
»Nun, ich nicht«, konterte sie. »Und das würde ich auch gerne so beibehalten.«
Er hob die Brauen. »Sie haben keine unanständigen Gedanken?«
»So gut wie nie.«
»Aber wenn Sie welche haben, wovon handeln sie?«
Sie warf ihm einen empörten Blick zu.
»War ich jemals an Ihren unanständigen Gedanken beteiligt?«, ließ Leo nicht locker. Ihre Wangen glühten.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine habe«, protestierte sie.
»Nein, Sie sagten ›so gut wie nie‹. Was bedeutet, dass doch ein oder zwei hier herumgeistern.«
»Leo, hör jetzt auf, sie so zu quälen«, mischte sich Amelia ein.
Leo hörte sie kaum, so sehr konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf Catherine. »Ich würde keineswegs schlecht von Ihnen denken, wenn es so wäre«, sagte er. »Im Gegenteil, Sie wären mir gleich viel sympathischer.«
»Darüber habe ich keine Zweifel«, entgegnete Catherine. »Ganz offensichtlich bevorzugen Sie Frauen, die überhaupt keine Tugenden besitzen.«
»Tugend bei einer Frau ist wie Pfeffer in der Suppe. In Maßen sorgt sie für eine gute Würze. Doch schon ein Tick zu viel führt dazu, dass niemand besonders viel von dir will.«
Catherine hielt die Lippen fest verschlossen und wandte sich demonstrativ ab, um dem tempogeladenen Streit ein Ende zu setzen.
Erst durch das plötzliche Schweigen wurde Leo bewusst, dass ihn die ganze Familie mit vereinter Ratlosigkeit anstarrte.
»Habe ich etwas getan?«, wollte er wissen. »Was ist los? Und was zum Teufel lest ihr da alle?«
Amelia, Cam und Merripen hatten Zeitungen vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, während Win und Beatrix in einem juristischen Wälzer Begriffe nachschlugen.
»Eben ist ein Brief von unserem Londoner Anwalt Mr. Gadwick gekommen«, sagte Merripen. »Offenbar gibt es rechtliche Angelegenheiten, die bei der Übernahme des Titels und aller Besitzungen nicht abschließend geklärt wurden.«
»Das wundert mich nicht«, meinte Leo. Er ging zum Büfett, wo das Frühstück angerichtet war. »Den Titel und die Ländereien hat man mir nachgeworfen wie alten Fisch,
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