Kuss im Morgenrot: Roman
tägliche Miteinander von Menschen, die sich lieben, habe ich zum ersten Mal bei den Hathaways erlebt. Und dann, im vergangenen Jahr, gab es für mich erstmals Momente wahrer Freude. Das Gefühl, dass zumindest im Augenblick alles so war, wie es sein sollte, und ich mir nichts mehr wünschen konnte.«
Poppy warf ihr einen strahlenden Blick zu. »Welche Momente waren das zum Beispiel?«
Sie betraten den Rosengarten, der übervoll von Blüten war, die Luft erfüllt vom lieblichen Duft der sonnenwarmen Rosenblätter.
»Abende im Wohnzimmer, wenn die Familie beisammensaß und Win aus einem Buch vorlas. Die Wanderungen mit Beatrix. Oder dieser verregnete Tag in Hampshire, als wir alle zusammen auf der Veranda Picknick gemacht haben. Oder …« Sie unterbrach sich, erschrocken über das, was sie beinahe einfach so dahingesagt hätte.
»Oder?«, hakte Poppy nach und hielt inne, um eine große prachtvolle Rose zu bestaunen und ihren Duft einzuatmen. Ihr wacher Blick schoss zu Catherine hinüber.
Ihr fiel es schwer, ihre persönlichsten Gedanken in Worte zu fassen, doch sie zwang sich, die unbequeme Wahrheit preiszugeben. »Nachdem sich Lord Ramsay bei den alten Ruinen an der Schulter verletzt hatte … lag er den ganzen nächsten Tag mit Fieber im Bett … und ich saß mehrere Stunden bei ihm. Wir unterhielten uns, während ich meine Flickarbeit erledigte, und ich las ihm Balzac vor.«
Poppy lächelte. »Das muss Leo sehr genossen haben. Er liebt französische Literatur.«
»Er erzählte mir von seiner Zeit in Frankreich. Er meinte, die Franzosen hätten eine wunderbare Art, sich das Leben leichter zu machen.«
»Ja, er hatte das bitter nötig. Als Leo mit Win nach Frankreich ging, war er nur noch der Schatten eines Mannes. Du hättest ihn nicht wiedererkannt. Wir wussten nicht, um wen wir mehr fürchten sollten, um Win mit ihren schwachen Lungen oder um Leo, der entschlossen war, sich selbst zugrunde zu richten.«
»Aber sie kehrten gesund zurück«, sagte Catherine.
»Ja, beide waren auf ihre Weise wiederhergestellt. Aber verändert.«
»Wegen Frankreich?«
»Auch, aber vor allem wegen der Kämpfe, die sie durchgestanden hatten. Win erklärte mir, es sei nicht der Triumph auf dem Berggipfel, der einen zu einem besseren Menschen mache, sondern der beschwerliche Weg dorthin.«
Catherine musste lächeln, als sie an Win dachte. Ihre Geduld und innere Stärke hatten sie durch viele Jahre der Krankheit getragen. »Das klingt haargenau nach ihr«, stellte sie fest. »Tiefsinnig. Und stark.«
»So ist Leo auch«, sagte Poppy. »Nur viel weniger ehrfürchtig.«
»Und er ist zynisch«, warf Catherine ein.
»Ja, zynisch … aber auch neckisch. Vielleicht ist es eine sonderbare Kombination von Eigenschaften, aber das ist mein Bruder.«
Catherine lächelte immer noch. Sie hatte so viele Bilder von Leo im Kopf … wie er behutsam einen Igel rettete, der in ein Erdloch gefallen war … wie er an den Plänen für einen neuen Pachthof arbeitete, das Gesicht streng und konzentriert … wie er verwundet in seinem Bett lag, die Augen glasig vor Schmerzen, und murmelte: Ich bin zu viel für eine einzelne Person. So viel können Sie nicht tragen.
Doch , hatte sie geantwortet, das kann ich .
»Catherine«, sagte Poppy zögernd, »die Tatsche, dass Leo mit dir nach London gekommen ist … ich frage mich, ob … also, ich hoffe … Darf man sich über eine Verlobung freuen?«
»Er hat mir einen Antrag gemacht«, gestand Catherine, »aber ich …«
»Hat er?« Poppy überraschte sie mit einer überschwänglichen Umarmung. »Oh, das ist zu schön, um wahr zu sein! Bitte sag, dass du annehmen wirst.«
»Ich fürchte, die Situation ist nicht ganz so einfach«, sagte Catherine reumütig und zog sich aus der Umarmung zurück. »Es gibt so viel zu bedenken, Poppy.«
Poppys überschäumende Freude schwand augenblicklich dahin, und eine kleine Sorgenfalte tauchte zwischen ihren Brauen auf. »Du liebst ihn nicht? Aber das wirst du bald, da bin ich mir sicher. Er ist so viel Gutes …«
»Es ist keine Frage der Liebe«, erklärte Catherine mit leicht verzerrter Miene.
»Heiraten ist keine Frage der Liebe?«
»Nein, ich meine, doch, natürlich. Aber ich wollte sagen, dass die Liebe gewisse Widerstände nicht überwinden kann.«
»Also liebst du ihn doch?«, fragte Poppy hoffnungsfroh.
Eine tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht. »Es gibt vieles, was ich an Lord Ramsay sehr schätze.«
»Und er macht dich glücklich, hast du
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