Kuss mich kuss mich nicht
ihr Zimmer käme, aber wenn sie morgens wach wurde, hatte sie wieder mal die Nacht allein verbracht.
Am Vorabend hatte Callie es nicht mehr ausgehalten. Sie hatte sich an den Küchentisch gesetzt, halbherzig ein Kreuzworträtsel gelöst und sich gesagt, sie würde auf ihn warten, ganz egal, wie spät er kam. Als er schließlich durch die Tür getreten war, war sie ihm durch den Flur gefolgt und hatte versucht, ihn dazu zu bewegen, irgendwas zu sagen. Er hatte geschwiegen, sie aber zumindest angesehen, während er vor die Bar in seinem Büro getreten war.
Sie hatte gerade die Sprache auf sie beide bringen wollen, da hatte er hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und den Stapel Papiere zu sich herangezogen, der auf seinem Schreibtisch lag. Als sie hatte wissen wollen, was er machte, hatte er ihr knapp erklärt, es ginge um diesen Deal mit den Blutsbrüdern, der noch immer nicht abgeschlossen war.
Sie war weiter in der Tür stehen geblieben und hatte gehofft, er sähe sie erneut an, doch er hatte sich sofort in die Unterlagen vertieft. Seine gerunzelte Stirn und der konzentrierte Blick hatten ihr verraten, dass er nicht bereit war, sich durch irgendetwas oder irgendwen von der Arbeit abhalten zu lassen. Schon gar nicht von ihr.
Er hatte sie vollkommen ignoriert, und sie wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen, als sie schließlich wieder gegangen war.
Callie schloss das Glas mit dem Lösungsmittel und löschte das Licht in ihrem Atelier. Sie wusste, ihr stünden ein weiteres einsames Abendessen und eine weitere schlaflose Nacht allein in ihrem Bett bevor. Und danach ein weiterer Tag, von dem sie nur hoffen konnte, dass er irgendwie vorüberging.
So konnte es nicht weitergehen. Heute Abend würde sie sich nicht noch mal einfach geschlagen geben. Heute Abend würde sie von ihm verlangen, dass er mit ihr sprach. Vielleicht war es ihr schwergefallen, sich ihm zu öffnen, er aber schloss sie komplett aus seinem Leben aus.
Sie ging zurück ins Haus und machte sich gerade was zu essen, als die Hintertür geöffnet wurde und ein großer Mann den Raum betrat.
Es war Jack. Sie blinzelte. Nein, nicht wirklich. Denn Jack hatte keine solche abgewetzte Lederjacke und auch kein so langes Haar.
»Aber hallo«, begrüßte der Doppelgänger sie in einem Ton, der ehrliche Bewunderung verriet. »Wer sind denn Sie?«
Sie blickte durch das Fenster hinter ihm auf einen alten Saab, der schräg zwischen den Lampen in der Einfahrt stand.
»Ich bin Callie Burke. Und Sie sind sicher …«
»Nate.« Er reichte ihr die Hand. »Jacks Bruder. Ist er da?«
Sie merkte, dass ihr dieser Mann sofort sympathisch war. Vielleicht wegen seines spitzbübischen Grinsens. Oder weil sie in seinem Gesicht ein Paar vertrauter brauner Augen sah, in denen keine kalte Reserviertheit lag.
»Er müsste jeden Augenblick nach Hause kommen.«
»Dann reißt er sich also wie gewöhnlich seinen Allerwertesten in seiner Firma auf. Ich muss den Jungen endlich dazu bringen, etwas lockerer zu werden.« Nate legte seinen Kopf ein wenig schräg und sah sie fragend an. »Sind Sie seine …«
Sie zwang sich zu lächeln, denn sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie unglücklich sie war. »Nun, kommt ganz drauf an, wie Sie den Satz beenden wollten. Ich arbeite für ihn. Ich restauriere ein Porträt.«
»Richtig, den alten Copley.«
Sie nickte, und er lächelte.
»Und wie lange sind Sie schon mit ihm zusammen?«
Als sie anfing zu stammeln, schüttelte er den Kopf. »Versuchen Sie am besten gar nicht erst, es abzustreiten. Schließlich haben Sie unter Ihrem Pulli eins von seinen Hemden an. Das erkenne ich an dem Monogramm am Aufschlag.«
Sie sah an sich herab und merkte, dass sie aufgefallen war. Als sie das Hemd am Morgen angezogen hatte, hatte sie gedacht, dass niemand es bemerken würde, wenn sie eins von seinen Kleidungsstücken trug. Jack hatte das Hemd an dem Abend bei ihr vergessen, als er wütend in sein eigenes Schlafzimmer zurückgegangen war, und sie hatte es angezogen, weil sie sich ihm so näher fühlte.
»Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten«, meinte Nate, »aber Sie wirken gar nicht wie sein Typ. Was ein Kompliment ist.«
Callie schüttelte lächelnd den Kopf, und in dem Moment fuhr Mrs Walkers Jaguar in die Garage. Sofort spannte sie sich wieder an, versuchte allerdings möglichst gleichmütig zu wirken, als Jack über den Hof gelaufen kam. Beim Betreten des Hauses wirkte er erschöpft, doch sobald er seinen Bruder sah, setzte er ein
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