Kuss mich kuss mich nicht
gehalten hatte, der beste Teil ihres Zusammenseins gewesen war.
Nachdem sie schließlich aufgestanden war, sah sie, dass sein Hemd noch auf dem Boden lag, und hob es auf. Sie hielt sich den feinen Baumwollstoff dicht vor das Gesicht und atmete den Duft nach Zedernseife und nach Jack so tief wie möglich ein.
Dann sah sie sich um und bemerkte die abgesprungenen Knöpfe seines Hemds auf dem teuren Teppich vor dem Bett. Fände eins der Mädchen sein kaputtes Hemd hier in ihrem Zimmer, spräche sich die Neuigkeit von ihnen beiden sicher wie ein Lauffeuer herum. Deshalb räumte Callie eilig auf, duschte, zog sich an, klemmte sich sein Hemd unter den Arm und ging über den Flur. Als auf ihr Klopfen keine Antwort kam, öffnete sie vorsichtig die Tür und sah sich um.
Die Antiquitäten und die Ölgemälde hatte sie erwartet, was sie jedoch überraschte, war die Anonymität des Raums. Nirgends gab es auch nur einen Schnappschuss von Jack in den Ferien, kein einziges Kleidungsstück hing über der Lehne eines Stuhles, kein Buch und keine Zeitschrift lag auf dem Tisch neben dem Bett. Der Raum sah aus wie ein luxuriöses Zimmer in einem Hotel, das nichts von dem Menschen offenbarte, der hier schlief.
Was hätte ihr das Farbschema des Raumes auch über ihn verraten sollen?, überlegte sie, während sie auf die dunkelgrünen Wände sah.
Das Einzige, was nicht in einem tadellosen Zustand war, war das breite Bett. Die Decke war zurückgeschlagen und die Kissen an dem samtbezogenen Kopfteil aufgestellt, als hätte Jack eine Zeitlang dort gesessen und nachgedacht.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Mrs Walker laut.
Callie wirbelte herum, als die Frau den Flur herunterkam, als ob sie durch das Betreten von Jacks Zimmer die natürliche Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt hätte.
Dann sah die Frau das Hemd in Callies Hand und fragte mit zugekniffenen Augen: »Brauchen Sie etwas von meinem Sohn?«
Nein, dachte Callie, er hat mir letzte Nacht bereits alles gegeben, was ich von ihm will.
Sie straffte die Schultern und dachte an Regel Nummer vier im Umgang mit Tyrannen, nämlich, dass Unwissenheit manchmal ein Segen war. Wenn man ein Problem einfach nicht als solches anerkannte, existierte es auch nicht.
Deshalb trat sie seelenruhig neben das Bett und legte das Hemd auf dem zerwühlten Laken ab.
»Guten Tag, Mrs Walker«, murmelte sie, als sie den Raum wieder verließ.
Damit hatte sie die Frau zum ersten Mal sprachlos gemacht.
Trotzdem wünschte sie sich auf dem Weg zur Küche, Mrs Walker wäre nicht genau in dem Moment vor Jacks Zimmer aufgetaucht. Oder sie wäre nicht so gewissenhaft gewesen und hätte das Hemd einfach in einer ihrer Schubladen versteckt, bis sie es Jack hätte wiedergeben können.
Ach, verdammt. Es war, als ob man einen Autounfall hatte, nur weil man mit dem Anlegen des Gurts beschäftigt war.
Als sie in die Küche kam, musste sie lächeln, denn sie sah Jack mit einer Tasse Kaffee über seiner Zeitung sitzen. Mit dem Anzug und dem tadellos gebundenen blauen Seidenschlips wirkte er viel zu zivilisiert, um auch nur die Hälfte der Dinge von letzter Nacht zu tun.
Aber als er aufsah, loderte in seinen Augen noch immer dieselbe Glut.
»Guten Morgen.« Mit einem langsamen, verführerischen Lächeln legte er die Zeitung fort. »Wie hast du geschlafen?«
Callie hatte das Gefühl, als breite sich so etwas wie ein Buschfeuer aus ihrem Bauch bis in ihre Wangen aus. »Gut. Sehr gut«, gab sie krächzend zurück.
»Komm her«, bat er sie sanft.
Sie vergewisserte sich eilig, dass sie beide ganz alleine in der Küche waren, trat dann aber auf ihn zu. Sobald sie in Reichweite von seinen Armen war, streckte er sie nach ihr aus und zog sie an seine Brust. Instinktiv griff sie nach seinem Haar, hielt dann aber inne, denn sonst hätte sie ihm sicher die Frisur zerzaust.
»Nein, fass mich an«, bat er. »Wo du willst.«
Während sie mit den Fingern durch das dunkle Dickicht fuhr, sah er zu ihr auf. »Tut mir leid, dass wir heute Morgen nicht mehr Zeit miteinander hatten, doch ich dachte, es wäre dir lieber, wenn nicht gleich die ganze Welt etwas von uns beiden erfährt.«
»Stimmt.« Sie gab ihm einen leichten Kuss, so schnell aber ließ Jack sie nicht gehen. Als er jedoch seine Zunge zwischen ihre Zähne schieben wollte, trat sie einen Schritt zurück.
Darauf ließ er von ihr ab, und ihm war deutlich anzusehen, wie frustriert er war. »Am liebsten würde ich wieder nach oben gehen und den Tag richtig anfangen.
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