Kussfest
vor langer Zeit gezeigt hatte.
»Hey, ich war eine niedliche kleine Pfadfinderin. Und ganz schön naiv. Wahrscheinlich war ich die Letzte, die herausbekommen hat, wo die Babys herkommen.« Sie machte eine Pause. »Ich fürchte, ich bin immer noch ziemlich naiv. Entweder das, oder ich bin schlicht blöd.«
»Wieso das denn?«
Endlich sah sie ihn an. Und wünschte, das hätte sie nicht getan. Mit dem Licht- und Schattenspiel im Gesicht und dem in der Dunkelheit tiefschwarz wirkenden Haar sah er noch attraktiver aus als ohnehin schon. Sie spürte sein Verlangen geradezu, und es wäre so einfach gewesen, ihm nachzugeben. Aber was dann? Sie wischte den Gedanken beiseite. »Ich muss immer noch an diese Sache mit den verschwundenen Steuergeldern denken«, sagte sie.
»Ach ja?«
»Ich hab das alles für dummes Geschwätz gehalten, obwohl da immer wieder drüber spekuliert worden ist. Jetzt denke ich, ich
wollte
es gar nicht glauben, weil ich Angst hatte, dass irgendwelche Leute, die ich schon ewig kenne und die ich mag, etwas damit zu tun haben.«
»Man nimmt doch immer erst mal das Beste an.«
Jamie schwieg einen Moment. Schließlich sah sie ihn an. »Wie war deine Familie eigentlich?«, fragte sie, weil sie plötzlich neugierig auf ihn war. Sie lächelte. »Mit Deedee zusammen war es doch bestimmt keine Sekunde langweilig.«
»Deedee und ich haben uns nicht besonders nah gestanden, weil wir vom Alter her so weit auseinander sind. Ich war sozusagen ein Unfall. Für meine Eltern wohl eher ein Fehler.«
»Oh.«
»Ach, keine Sorge, ich fühle mich nicht so. Mein überbordendes Selbstbewusstsein, wie du es nennst, hat mich davon überzeugt, dass ich der Welt eine ganze Menge zu geben habe. Aber eine Zeit lang habe ich schon geglaubt, sie hätten Recht.
Ich hatte echt Glück. Mein Cousin und seine Frau haben mich aufgenommen, als ich sechzehn war. Sie gaben mir ein liebevolles Zuhause und Halt. Ich hatte viel mehr als die meisten Kinder. Manchmal vermisse ich diese Normalität.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es unter diesen Bedingungen schwierig ist, ein normales Leben zu führen. Ich meine, so bekannt, wie du bist.
»Ich versuche, mich bedeckt zu halten. Deswegen wohne ich ja auch in Virginia. Da habe ich meine Ruhe.«
»Max?«
»Ja?«
»Wie ist das, so stinkreich zu sein?«
Er lachte. »Ich weiß es nicht, Jamie. Ich war nie arm, deswegen habe ich keinen Vergleich.«
»Du wirst wohl nie sagen können, du hast alle Facetten des Lebens kennengelernt«, sagte sie lachend. »Du wirst nie erfahren, wie es ist, einen Scheck platzen zu lassen, oder wenn vor den Augen deiner Freunde deine Kreditkarte nicht akzeptiert wird. Was ist das denn für ein Leben?«
»Ich habe das Glück, dass jemand anderes meine Rechnungen bezahlt«, sagte er, »aber du musst bedenken, dass ich über Geld überhaupt nicht erst nachdenke.«
»Weil du so viel davon hast?«
»Nein. Reiche können genauso aufs Geld fixiert sein wie Arme. Wenn ich mir aber dauernd Gedanken darüber machen würde, wo jeder Penny hingeht oder ob ich klug investiert habe, hätte ich gar keine Zeit mehr, das Leben zu genießen. Ich denke da einfach nicht drüber nach.«
Jamie konnte sich ein Leben ohne Geldsorgen überhaupt nicht vorstellen, denn sie hatte immer, selbst als ihr Vater noch lebte, jeden Penny dreimal umdrehen müssen.
»Ich gebe mir alle Mühe«, fuhr Max fort. »Ich versuche, immer den nächsten Schritt richtig zu machen. Manchmal gelingt es mir, manchmal nicht.«
Jamie genoss es, ihn so sprechen zu hören. Er hatte eine angenehme Stimme, dank der Jamie sich entspannte und sich ganz wohl fühlte. In Ufernähe klatschte etwas. Jamie richtete ihre Taschenlampe in die Richtung.
»Das war nur ein Fisch«, sagte Max. »Wenn du Angst hast, kannst du gerne näher rücken.«
»Ich hab doch keine Angst vor einem blöden, kleinen Fisch.«
»Wovor hast du denn Angst?«
Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
»Lass mich raten«, sagte er. »Du fürchtest dich davor, nicht zu wissen, was am nächsten Tag passiert. Oder?«
Es war unheimlich, wie er in sie hineinsehen konnte. »Du machst dir wohl nie Sorgen.«
»Ich kann nicht gerade behaupten, unsere momentane Lage würde mir nichts ausmachen, aber normalerweise lasse ich den nächsten Tag einfach auf mich zukommen.«
Jamie gähnte. »Ich bin ziemlich kaputt. War ein langer Tag.
»Ruh dich doch ein bisschen aus.«
Sie zögerte. »Ja, mache ich.«
»Ich bin nicht müde. Ich wecke dich, wenn der
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