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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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zu.
    Das Gesetz des Meisters Gargancjanus wirkte mit unbarmherziger Folgerichtigkeit. Als sich Formationen mit Formationen verbanden, steigerte sich auch dementsprechend der Schönheitssinn und erreichte auf der Ebene der verstärkten Division seinen Höhepunkt. Darum kamen die Kolonnen dieser Streitmacht auf der Jagd nach dem ersten besten Schmetterling so leicht auf Irrwege, und als das Sehrschlimussche motorisierte Korps vor der feindlichen Festung antrat, die im Sturm genommen werden mußte, stellte sich heraus, daß der im Laufe der Nacht angefertigte Angriffsplan ein glänzendes Gemälde von jener Festung war, dazu noch, ganz im Widerspruch zu den militärischen Traditionen, in ungegenständlicher Manier gemalt. In der Artillerie kam es auf Korpsebene zu den schwierigsten onthologischen Auseinandersetzungen; zugleich ließen die großen Einheiten, zerstreut, wie das Genie nun einmal ist, unterwegs die Waffen und das schwere Kriegsgepäck liegen, weil ihnen aufgefallen war, daß sie in den Krieg zogen. Der Geist ganzer Armeen wurde von zahlreichen Komplexen befallen, wie das gewöhnlich bei hochgezüchteten Wesen der Fall ist, und man mußte jeder von ihnen eine motorisierte psychoanalytische Brigade anschließen und sie von dieser entsprechend behandeln lassen.
    Währenddessen nahmen beide Armeen unter dem steten Donner der Pauken die Ausgangsstellungen ein. Sechs Sturmregimenter der Infanterie, mit einer Haubitzenbrigade und einem Ersatzbataillon vereinigt, dichteten, als man ihnen ein Exekutionspeloton anschloß, das »Sonett vom Geheimnis des Seins«, und zwar während des Nachtmarsches in die Stellungen. Auf beiden Seiten kam es zu Verwirrung; das achtzigste Marlabardsche Korps verlangte, man solle unbedingt die Definition des Begriffes ›Feind‹ präzisieren, der mit logischen Widersprüchen belastet zu sein scheine, womöglich sogar durchaus sinnlos sei.
    Fallschirmjägerabteilungen versuchten, die umliegenden Dörfer zu algorythmisieren, die Formationen stießen aufeinander, also sandten beide Könige ihre Flügeladjutanten und Sonderkuriere ab, um Ordnung in der Truppe zu schaffen. Aber kaum waren diese herangesprengt, von ihren Pferden getaumelt und dem Korps angeschlossen, um zu erfahren, woher dieses Durcheinander komme, als sie auch schon ihren eigenen Geist im Korpsgeist aufgaben. So blieben die Könige ohne Adjutanten zurück. Das Bewußtsein erwies sich als eine schreckliche Falle, in die man hineingeraten, aus der man aber unmöglich herauskommen konnte. Vor den Augen Unheurs sprengte sein Cousin, der Großfürst Derbulion, zu den Stellungen, um den Truppen Mut zu machen. Doch kaum war er angeschaltet, ging er auch schon in ihrem Geist auf und war bereits überhaupt nicht mehr vorhanden.
    Als Mägerlein sah, daß es schlecht stand, obwohl er nicht wußte weshalb, winkte er die zwölf Leibhornisten herbei. Auch Unheur winkte, die Bläser legten das Erz an die Lippen, und von beiden Seiten der Front riefen die Trompeten zum Angriff. Auf dieses Zeichen hin verbanden sich die Armeen endgültig. Das furchtbare Eisengeklirr der sich schließenden Kontakte wurde vom Winde zum künftigen Schlachtfeld hingetragen, und anstelle der tausendfachen Bombardiere und Kanoniere, der Zielschützen und der Ladeschützen, der Gardisten und Artilleristen, der Pioniere, Gendarmen, Fallschirmjäger – standen zwei gigantische Geister, die sich mit einer Million von Augen ansahen über die große Ebene hinweg, die unter den weißen Wolken lag. Ein Augenblick vollkommener Stille trat ein. Auf beiden Seiten kam es zu der berühmten Kulmination des Bewußtseins, die der große Gargancjanus mit mathematischer Genauigkeit vorausberechnet hatte: Oberhalb einer gewissen Grenze verwandele sich das Militärische ins Zivile, und zwar deshalb, weil der Kosmos als solcher absolut zivil ist. Und die Geister beider Heere hatten eben bereits kosmische Ausmaße erreicht. Obwohl also nach außen hin noch Stahl, Panzer, Kartätschen und tödliche Stichwaffen leuchteten, wogte innen bereits ein doppelter Ozean gelassener Heiterkeit, allumfassenden Wohlwollens und vollkommener Vernunft. Also auf den Hügeln stehend, mit dem in der Sonne blitzenden Eisen, unter immer noch dauerndem Trommelwirbel, lächelten sich beide Armeen an. Trurl und Klapauzius betraten soeben das Deck ihrer Schiffe, als vollzogen war, was sie angestrebt hatten: Vor den Augen der vor Scham und Wut schwarzgewordenen Könige räusperten sich beide Heere, faßten sich

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