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Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter.

Titel: Kyberiade. Fabeln zum kybernetischen Zeitalter. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem , Daniel E. Mroz
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unter die Arme und gingen spazieren. Sie pflückten gemeinsam Blumen unter den vorüberziehenden Wolken auf dem Felde der nicht stattgefundenhabenden Schlacht.
     
     
     
    Die Reise Eins A oder Trurls Elektrobarde
     
     
    Um falschen Erwartungen und Mißverständnissen aller Art vorzubeugen, müssen wir zunächst erklären, daß dies genau genommen eine Reise nach nirgendwohin war. Denn in der ganzen Zeit rührte sich Trurl nicht aus seiner Behausung, wenn man von einigen Krankenhausaufenthalten und einem recht unwichtigen Ausflug zu einem Planetoiden einmal absieht. Und dennoch, in einem tieferen und höheren Sinne war es eine der weitesten Reisen, welche der berühmte Konstrukteur jemals unternahm, denn sie führte ihn dicht an die Grenze des Möglichen, ja sogar darüber hinaus.
    Trurl widerfuhr einmal das Mißgeschick, daß er eine riesige Rechenmaschine baute, die nur zu einer einzigen Operation fähig war, nämlich zwei und zwei zu addieren, und selbst das machte sie falsch. Wie wir an anderer Stelle erzählt haben, erwies sich die Maschine als äußerst eigensinnig, und ihr Streit mit ihrem eigenen Schöpfer hätte für letzteren beinahe tragisch geendet. Seit dieser Zeit mußte sich Trurl die gnadenlosen Sticheleien seines Freundes Klapauzius gefallen lassen, der keine Gelegenheit versäumte, um auf die unrühmliche Geschichte zurückzukommen; um ihn jedoch ein für allemal zum Schweigen zu bringen, hatte Trurl sich in den Kopf gesetzt, eine Maschine zu konstruieren, die in der Lage sein sollte, makellose Lyrik zu schreiben. Zu diesem Zweck besorgte sich Trurl kybernetische Literatur im Gesamtgewicht von achthundertzwanzig Tonnen sowie zwölftausend Tonnen der allerfeinsten Poesie und begann unverzüglich mit seinen umfangreichen Studien. Wenn er es vor lauter Kybernetik nicht mehr aushalten konnte, wechselte er kurzerhand zur Lyrik, und vice versa. Bereits nach kurzer Zeit wurde ihm klar, daß die Konstruktion der Maschine selbst im Vergleich zu ihrer Programmierung das reinste Kinderspiel war. Das Programm, das ein durchschnittlicher Dichter im Kopf hat, wurde durch die Zivilisation geschaffen, in der er auf die Welt kam, und diese Zivilisation wurde wiederum durch die ihr vorhergehende programmiert – und so ließ sich der Entwicklungsprozeß zurückverfolgen bis zum Vorabend der Schöpfung, als die Bits, welche einmal das Programm des künftigen Poeten bilden sollten, noch völlig ungeordnet im primordialen Chaos kosmischer Tiefen herumschwirrten. Wollte man folglich eine Lyrikmaschine programmieren, so mußte man zunächst die Entwicklungsgeschichte des ganzen Universums – zumindest aber eines guten Teils davon – nachvollziehen. Jeder andere an Trurls Stelle wäre unter der Last einer solchen Aufgabe zusammengebrochen, doch der unerschrockene Konstrukteur dachte keine Sekunde lang daran aufzugeben. Er konstruierte zunächst eine Maschine, die das Chaos modellierte, und selbiges war wüst und leer, und der elektrische Geist schwebte über den elektrischen Wassern; dann fügte er den Parameter des Lichts hinzu sowie Urnebel in der nötigen Menge, und so bahnte er sich schrittweise seinen Weg bis zur ersten Eiszeit – was nur deshalb möglich war, weil seine Maschine fähig war, im fünfmilliardsten Teil einer Sekunde einhundert Septillionen Ereignisse an vierzig Oktillionen verschiedener Orte zugleich zu modellieren; und falls irgend jemand diese Zahlen in Frage stellt, so braucht er sie nur nachzurechnen. Als nächstes modellierte Trurl die Ursprünge der Zivilisation, so das Funkenschlagen mit Feuersteinen und das Gerben von Fellen, er sorgte auch für Dinosaurier und Sintfluten sowie für Zweifüßigkeit und Schwanzlosigkeit; dann kam der Urbleichling an die Reihe, der den Bleichling zeugte, der die ersten Maschinen hervorbrachte, und so ging es dahin durch Äonen und Jahrtausende im endlosen Summen elektrischer Ströme und Wirbel. Immer wenn sich die modellierende Maschine als zu eng für die nächste Epoche erwies, nahm Trurl einen Anbau vor, bis schließlich aus all diesen Anbauten eine richtige Großstadt aus Röhren, Polklemmen, Stromkreisen und Schaltungen entstanden war, derart verwickelt und verworren, daß sich der Teufel selbst dort nicht mehr zurechtgefunden hätte. Doch Trurl schaffte es irgendwie, nur zweimal mußte er in die Vergangenheit zurückkehren: einmal leider bis ganz an den Anfang, als er nämlich entdeckte, daß Abel Kain erschlagen hatte und nicht Kain Abel

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