Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
entfernten Wendepunkt zu. Der kleine, zerbrechlich wirkende Wagen flog förmlich über die Unebenheiten des Bodens, Sand- und Wasserfontänen spritzten auf.
Martin le Maniaque war nichts gegen Alvar TerHag.
Ich setzte mich in die Düne und sah fasziniert zu.
Nach der siebten Runde brachte Alvar die dampfenden Pferde zum Stehen, ein Gehilfe kam und nahm ihm die Leitleinen ab. Reb führte das frische Gespann heran. Sein Vater übernahm es, und Reb setzte sich neben mich.
»Ich bleibe hier«, sagte er.
»Gut.«
»Er will mich ausbilden.«
»Wird dir das gefallen?«
»Ja. Ja, das wird mir gefallen.« Er riss einen Grashalm ab und schlang einen komplizierten Knoten hinein. »Ich habe Cam immer beneidet.«
»Cam? Wieso? Ach ja, er ist ja Stallbursche bei den Wagenlenkern.«
»Und ich werde vielleicht Wagenlenker.«
»Kommst du mit deinem Vater klar?«
»Ich denke schon.«
»Ich fahre morgen zu Hazel.«
Reb schaute den Pferden nach, die um den entfernten Wendepunkt rasten.
Es gab wohl nicht mehr viel zu sagen. Mir fiel zumindest nichts ein, was nicht irgendwie doof und pathetisch geklungen hätte. Also schwiegen wir beide.
»Wir haben einige Arenen hier, der Pferderennsport hat Tradition in der Bretagne«, erklärte Alvar später, als wir beim Abendessen zusammensaßen. »Zumeist werden normale Pferderennen veranstaltet – Jockeys auf einem Pferd. Oder Trabrennen – ein Pferd vor einem Wagen. Die Quadriga-Rennen dagegen sind herausragende Ereignisse. Und besonders bekannt ist die Seerennbahn bei Plouescat.«
»Messt ihr euch auch mit den Wagenlenkern von NuYu?«, fragte Reb.
»Ja, es gab schon einige Wettkämpfe. Sport ist eine der Möglichkeiten, Grenzen zu überwinden. Wir sind durchaus interessiert daran, mit NuYu zu kooperieren.«
»Davon erfährt man nichts. Oder besser, ich habe davon nie gehört«, sagte ich.
»Das kann schon sein. Ich bin mir sicher, dass es unterschiedliche Strömungen und Interessen in NuYu gibt, was die Reservate anbelangt. Und wir machen es den Vertreterinnen der Regierung auch nicht besonders leicht.« Alvar lächelte. »Wir wollen unsere Unabhängigkeit behalten und trotzdem die Dinge von ihnen haben, die uns nützlich erscheinen.«
»Und welche sind das?«
»Rohstoffe, Lebensmittel, Kommunikationstechnologie, Medikamente. Man würde uns entgegenkommen, wenn wir uns den Überwachungssystemen anschließen würden. Aber das ist absolut nicht verhandelbar.«
»Sie wollen, dass auch hier die Ids eingeführt werden? Was habt ihr eigentlich dagegen?«
»Die Ids als solches sind erst einmal nicht schlecht. Es ist nützlich, Geld, Berechtigungen, gewisse Personalien in einem Medium vereint zu haben. Wir haben Personalausweise, Fahrerlaubnisse, Kreditkarten, Rabattkarten, Landkarten und wer weiß was noch alles in unseren Taschen stecken. Aber neben den persönlich nützlichen Informationen sind all diese Daten auf den Ids auch von den Aufsichtsbehörden abrufbar.«
»Ja, aber das ist reglementiert. Es darf nicht jeder … «
»Es kann aber jeder, der will, Princess«, unterbrach mich Reb. »Und die Amazonen, die Ärztinnen, die Lehrbeauftragten sowie vermutlich alle Behörden und politischen Verantwortlichen tun es.«
»Überwachung, Kyria, bemerkt man nicht. Nur ihre Folgen«, ergänzte Alvar.
Ja, ich hatte es am eigenen Leib erlebt. Noch vor zwei Tagen, als wir die Lodge nur mit Tricks unbemerkt verlassen konnten. Wie vieles von mir hatte man in den Jahren zuvor ständig überwacht?
»Immerhin haben wir in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt, Kyria. Einige unserer Studenten können an NuYu-Hochschulen studieren, wenn auch nur eingeschränkte Fächer wie Humanmedizin, Tiermedizin, alte Sprachen. Wir haben die Kontingente an Rohstoffeinfuhren erhöht, insbesondere bei Textilien, Kunststoffen und Metall. Umgekehrt führen wir landwirtschaftliche Produkte aus und erlauben den Touristen, unser Land zu besuchen.«
»Warum haben sich die Reservate und NuYu so weit auseinanderentwickelt?«, fragte ich. »Ich kenne nur unsere Geschichte. Ich möchte nun auch die andere Seite hören.«
»Was bist du für eine verständige junge Frau, Kyria. Ja, hör dir die andere Seite an, und bilde dir dein eigenes Urteil. Ich will mich aber kurzfassen. Als die Große Pandemie ein Drittel der Weltbevölkerung dahingerafft hatte und die Hälfte der Männer anschließend zeugungsunfähig wurde, waren es die Frauen, die sich zuerst erholt und den Wiederaufbau in die Hand genommen haben.
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